Vor einigen Tagen ist ein Interview von mir in der "Petrosphäre", der Branchenzeitschrift der Erdöl-Vereinigung erschienen. Es geht darin um die geeigneten Massnahmen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft. Diesbezüglich in aller Munde ist das Pariser Klimaschutzabkommen, dessen Ratifizierung von praktisch allen Ländern der Schweiz vorbereitet wird; auch das Schweizer Parlament hat das Abkommen mit grossen Mehrheiten verabschiedet. Dabei gehen unsere Politiker offenbar fast einhellig davon aus, dass das vom Pariser Abkommen anvisierte Ziel von 1,5-2°C Temperaturanstieg noch (effektiv, nicht bloss technisch) erreichbar ist. Die fehlenden Zweifel erstaunen, vor allem ob der nun eingesetzten Ressourcen.
Gemäss bisherigen Erklärungsansätzen ("Karbonbudgets") hätten wir zur Erreichung des 1,5°C-Ziels noch 4 Jahre Zeit, bis wir aufhören müssten, CO2 auszustossen. Eine neuere, in der NZZ vom 25. September 2017 besprochene Studie verlängert offenbar diese Frist - ein willkommener Deus ex Machina, welcher die schon eingeplanten "negativen CO2-Emissionen" in der Zukunft ergänzt. Dennoch bleibt viel zu wenig Zeit: Zu berücksichtigen wäre ja auch, dass es zwar einen globalen Konsens hinsichtlich des Dekarbonisierungsziels gibt, aber keinen gleichgerichteten Umsetzungswillen. Dabei spielt das Verhalten der USA (Donald Trump) sicher eine Rolle; jedoch waren auch die Zusagen z.B. von Russland und China von vornherein kaum ausreichend zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens.
Bei nüchterner Betrachtung würde die Schweiz ihre Klimapolitik auf die sichere Verfehlung der Ziele des Pariser Abkommens ausrichten. Das bedeutet nicht, dass kosteneffiziente Reduktionsmassnahmen im Verbrauch fossiler Energieträger unterlassen werden sollten. Jedoch wäre der Fokus der getroffenen Massnahmen - weit mehr als nun im Pariser Abkommen angedacht - auf die Anpassung an den gemäss den Klimawissenschaften prognostizierten Temperaturanstieg auszurichten. Jede andere Strategie dürfte derart stark auf "Glaube und Hoffnung" beruhen, dass sie bei der heutigen tatsächlichen Ausgangslage nicht mehr als sachangemessen erscheinen kann.
St.Gallen, 6. Oktober 2017
«Dekarbonisierung wird von Innovation getrieben»
Vorbeugende Massnahmen müssen technisch machbar und wirtschaftlich tragbar sein.
Im Gespräch mit «Petrosphäre» erklärt der Uniprofessor Peter Hettich, warum eine funktionierende Wirtschaft massgebend für einen erfolgreichen Klimaschutz ist.
Herr Hettich, kann die Schweiz das Klima retten?
Peter Hettich: Nein, das kann sie nicht. Bei einem solchen kooperativen Spiel wäre es aber auch falsch zu denken, dass unser Beitrag zu den Emissionen so gering ist, dass wir nichts tun müssen. Es ist sinnvoll, sich in dem Mass zu beteiligen, in dem sich die anderen Länder auch beteiligen.
Die USA sind aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen. Wie schlimm ist es?
Es macht gar nicht einen so grossen Unterschied, dass die USA jetzt formal aussteigen. Präsident Obama konnte dieses Abkommen nur unterzeichnen, weil er von Vornherein wusste, dass es nicht verbindlich ist. Die Abkommenssprache ist so vage, dass er es im Senat nicht ratifizieren lassen musste, wo es chancenlos gewesen wäre. Der grosse Erfolg dieses Übereinkommens ist, dass sich fast alle Länder der Erde dafür einsetzen, Reduktionsmassnahmen zu treffen. Für diesen Konsens wurde aber ein Preis in Form von nicht verpflichtenden Zielen bezahlt.
Sollte das Abkommen mehr verpflichtenden Charakter aufweisen?
Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Politik sich mit symbolischen Erfolgen begnügt, die kaum Wirkung entfalten. Auch die Presse scheint Freude an gut inszenierten Akten der Symbolpolitik zu haben, was man in Bezug auf die USA sehen kann: Schon Präsident Clinton hat das Kyoto-Protokoll unter grossem Jubel der Presse unterzeichnet. Es war aber klar, dass die USA dieses Abkommen niemals ratifizieren würden. Heute sind wir am gleichen Punkt, was die Unterzeichnung des Pariser Abkommens durch Präsident Obama angeht. Weiter haben sich China und Russland zum Abkommen bekannt. Ihre Ziele sind aber bei weitem nicht ambitioniert genug. Heute ist anerkannt, dass die individuellen Verpflichtungen der Länder nicht ausreichend sind, um die Ziele des Abkommens zu erreichen. Man sollte sich daher überlegen, ob man nicht lieber andere Strategien verfolgen sollte.
Welche?
Wenn man davon ausgeht, dass der Klimawandel unvermeidlich ist, muss man sich darauf vorbereiten und Anpassungsmassnahmen treffen. Das heisst aber nicht, dass man aufhören sollte, weiterhin kosteneffiziente Reduktionsmassnahmen betreffend den Klimawandel zu implementieren. Die Reduktion des Verbrauchs an fossilen Brennstoffen ist ja dem Grundsatz nach durchaus sinnvoll.
Muss die Nachhaltigkeit wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen?
Der in der Bundesverfassung verankerte Begriff der Nachhaltigkeit weist drei Dimensionen auf: eine wirtschaftliche, eine gesellschaftliche und eine Umweltdimension. Alle diese drei Aspekte müssen in eine Balance gebracht und möglichst gut erfüllt werden. Seit einigen Jahren gibt es jedoch Stimmen, die eine Hierarchie dieser Dimensionen fordern. Diese gehen davon aus, dass ohne intakte Umwelt keine Gesellschaft existieren kann und ohne Gesellschaft keine Wirtschaft. Das kann man aber auch gut umdrehen: Eine tragfähige Gesellschaft kann ohne gesunde Wirtschaft nicht funktionieren. Und ohne eine fortschrittliche Gesellschaft kommt der Umweltschutz zu kurz. Nur ein wirtschaftlich starkes Gemeinwesen kann sich einen guten Umweltschutz leisten.
Soll der Staat oder die Wirtschaft für den Klimaschutz sorgen?
Beide sind in der Verantwortung. Der Staat muss die Rahmenbedingungen setzen, die es den Unternehmen ermöglichen, Klimaschutz zu betreiben. Entscheidend sind hier die richtigen Anreize und vor allem ausreichend Raum für Innovation. Die Dekarbonisierung von Gesellschaft und Wirtschaft zentral steuern zu wollen, wird zu hohen Kosten führen und kaum Erfolge zeigen. //