Vorgestern haben der ehemalige und scheidende Direktor des BAZL bzw. BFE, Peter Müller und Walter Steinmann, einen Gastbeitrag in der NZZ veröffentlicht. In diesem fordern sie eine Neujustierung des "Regulationssystems". Anhand verschiedener einschlägiger Fälle zeigen die beiden offensichtlich "gebrannten Kinder" die aus ihrer Sicht bestehenden Vollzugschwierigkeiten im Infrastrukturbereich auf. Nicht überraschend fordern die Autoren des Gastbeitrags weniger Einmischung in ihre Tätigkeit: Mit anderen Worten sollen "[d]ie klassischen Gesetzgeber und Gerichte ... gewisse Kompetenzen an die Regulatoren abgeben." Während die vorgenommene Analyse tatsächlich einige Punkte für sich hat, erscheinen die Schlussfolgerungen einseitig und verkürzt.
Die Ausweitung der Staatsaufgaben und die Zunahme der Steuerungstiefe in den letzten beiden Jahrzehnten haben in verschiedenen Bereichen dazu geführt, dass sich die Regulatoren als Steuermänner einer Wirtschaft in stürmischen Markt-Gewässern begreifen. Interventionen von Gerichten und Gesetzgeber werden deshalb offenbar als unziemliche und meist sachunangemesssene Eingriffe in die angestrebten "guten Werke" empfunden. Da die Autoren die staatlichen Regulatoren als Garanten von technologischem Wandel und Innovation ansehen, ist die Beseitigung der Friktionen durch eine Rücknahme staatlicher Verantwortung natürlich kein Thema. Vielmehr soll - alternativlos - die Steuerung optimiert werden.
Nach Ansicht der Autoren scheinen dieser optimierten Steuerung einzig der Gesetzgeber und die Gerichte im Wege zu stehen. Dass die Verwaltung auch Fehler machen könnte, blenden die Autoren aus, da sich daraus auch eine kritische Reflektion der eigenen Amtsführung ableiten liesse. Insofern ist es nur logisch, ein Idealbild der Regulatoren als wohlwollende (und allwissende) Diktatoren zu zeichnen, die keiner besonderen Checks and Balances bedürfen (an anderer Stelle erwähnt einer der Autoren "kompensatorische Massnahmen, insbesondere ein geeignetes Reporting des Regulators an Legislative und Exekutive"). Sollen die Kompetenzen der Verwaltung tatsächlich nach dem Vorbild amerikanischer Regulatoren ausgeweitet werden, was im Einzelfall angebracht sein kann, so ist nach der hier vertretenen Ansicht mindestens auch die rechtsstaatliche Kontrolle zu stärken: Dies bedeutet, dass die Regeln der Verwaltung abstrakt anfechtbar sein müssen, wobei die Beweislast für die Sinnhaftigkeit der Regeln der Verwaltung obliegen muss. Dies bedeutet auch, dass die Rechtsdurchsetzung nicht mehr einseitig gestützt auf das Privileg der Verfügung erfolgen kann, sondern nur auf dem Wege eines "gewöhnlichen", gerichtlichen Zweiparteienprozesses.
Was der NZZ-Artikel nicht erwähnt, aber allenfalls bemerkenswert ist: Der Gastbeitrag beruht offenbar auf einem Bericht zu "Regelungskompetenzen und Ermessensspielräumen auf dem Gebiet der Infrastrukturgesetzgebung", der ebenfalls vorgestern auf der Webseite des BFE veröffentlicht wurde. Verfasst wurde dieser Bericht vom ehemaligen BAZL-Direktor Peter Müller als Senior Consultant der Firma "bolz+partner consulting AG", die hier als Auftragnehmerin des BFE fungiert. Es handelt sich, wie der Bericht selbst einräumt, weniger um eine wissenschaftliche Studie; eher ist von einem Erfahrungsbericht auszugehen. Wieviel die Studie gekostet hat, ist dem Autor dieses Blogs nicht bekannt (anfechtbar ist die Auftragsvergabe, wie von den Autoren des Gastbeitrags gewünscht, wohl nicht).
St.Gallen, 12. August 2016