Am 5. Juni stimmen wir über die Volksinititive "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" ab. "Die finanzielle Sicherung der Existenz soll nicht mehr an eine Erwerbsarbeit gebunden sein", schreibt der Bundesrat dazu. "Mehr sinnvolle und selbstbestimmte Tätigkeiten sind möglich", schreibt das Initiativkomitee. Der Bundesrat begründet seine Ablehnung der Initiative vor allem damit, dass das Anliegen kaum finanzierbar sei. Man könnte also meinen, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine gute Sache sei, wenn es nur mehr Geld dafür hätte. Welch eine kreative Dynamik könnte sich entfalten, wenn wir alle das machen könnten, wozu wir Lust haben?
Allerdings könnten wir heute schon frei unseren Interessen folgen - und uns als Unternehmer selbständig machen. Das ist freilich mit Risiken verbunden, die in unserer heutigen Gesellschaft nur wenige gerne auf sich nehmen; lieber finanziert man seine Hobbies mit dem Staat. Man findet Entschuldigungen: Ein Berufsmusiker hat mir einmal gesagt, der "Markt" setze keinen angemessenen Preis für Kreativität (seine und die der anderen). In der Tat ist das Leben eines Berufsmusikers kein Zuckerschlecken, solange es nicht mit einer Festanstellung verbunden ist, z.B. in einer Schule.
Das Grundeinkommen würde das ändern: Es würden vermehrt Güter produziert, die sich am Markt nicht refinanzieren lassen, sprich: Güter, für die sich kein Käufer findet. Die Frage ist: Sollen wir tatsächlich unseren Mitmenschen Anreize zur Produktion von Gütern setzen, für die auch bei gutem Willen niemand Interesse aufbringen kann? Warum sollte die Allgemeinheit Kreativität finanzieren, die derart schlecht ist, dass individuelle Zahlungsbereitschaften nicht zur Aufrechterhaltung des Angebots ausreichen? Dass Auftragskunst keine schlechte Kunst sein muss, kann man schon nach einem Besuch in der Sixtinischen Kapelle erkennen. Herausragende Künstler lebten in der Vergangenheit derart oft in finanziell prekären Verhältnissen, dass man sich fragen kann, ob darin gar eine Voraussetzung für grosse Kunst zu sehen ist. Vielleicht ist die heutige Kreativ-Arbeit gar schon zu sehr von den Marktkräften gelöst? Das wäre jedenfalls eine plausible Erklärung für das Entstehen des postmodernen Theaters, das sich nur mit sich selbst beschäftigt und bei dem das Publikum eine kaum geduldete Staffage bildet.
Bei der Klärung der grossen Frage hilft das Grundeinkommen jedenfalls nicht: Es bleibt in unserer Überflussgesellschaft jedem einzelnen überlassen, seinem Leben Sinn zu stiften. Das bedingungslose Grundeinkommen befreit uns von dieser Suche nicht.
St.Gallen, 20. Mai 2016