Das 46. St.Gallen Symposium war erneut ein inspirierender Anlass, vor allem aufgrund des freien Zusammentreffens von führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit Studierenden aus aller Welt. Beim Thema «Growth – the good, the bad, and the ugly» dürfen dem Klischee verhangene Menschen erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass die Studierenden aus der «Kaderschmiede des Kapitals» auch marktkritische Themen aufgreifen. Das Thema wird glücklicherweise differenziert angegangen, also nicht ausschliesslich auf der Linie der radikalen Forderungen des Club of Rome von 1972 («Die Grenzen des Wachstums») diskutiert. Diese Differenziertheit haben einige Gegner des «kleinen WEF» leider nicht: Im Kulturmagazin Saiten lehnt etwa Nico jeden Dialog mit dem Symposium ab: Nico möchte sich nicht mit etwas auseinandersetzen, dass seine Vorurteile relativieren oder seine Welt in anderen Farben als Schwarz und Weiss zeichnen könnte. Er hätte im Workshop mit dem Gewerkschafter Visentini allenfalls entdeckt, dass dieser erstaunlich liberale Ansichten vertritt. Leider scheinen mit Nico aber eher eine neue Untergangsverliebtheit und Philsophie des Verzichts an Raum zu gewinnen.
Der gesellschaftliche Konsens fordert heute ein nachhaltiges Wachstum; den Rahmen für dieses Wachstum zieht die Rechtsordnung. Ob und inwieweit darüber hinaus die Wachstumsfrage einem gesellschaftlichen Entscheid zugänglich ist, scheint mir fraglich. Wachstum erscheint vor allem als Ergebnis günstiger Bedingungen, also beispielsweise eines fördernden regulatorischen Rahmens. Diesbezüglich liegt doch einiges im Argen, wie ich in meiner Kolumne «Zerstörung ohne Schöpfung» schon einmal etwas ausführlicher dargelegt habe.
Statt kreativen Ideen Raum zu verschaffen, werden Innovationen heute in dafür vorgesehenen Innovationsparks verwaltet. Unternehmerisches Handeln steht unter einem faktischen Vorbehalt des öffentlichen Interesses, welches vage bleibt und vor allem durch tagespolitische Interessenlagen ausgeformt wird. Technischer Innovation wird mit Argwohn begegnet; sie soll vorsorglich eingeschränkt oder verboten werden. In verschiedenen Märkten, man denke an den Energiemarkt, entscheidet die Politik und nicht das Spiel von Angebot und Nachfrage, wer mit welchen Produkten welche Gewinne erzielen darf. Anders als Bundesrätin Leuthard gestern kann ich in niedrigen Wachstumsraten nur Alarmzeichen erblicken.
Unbewusst verzichten wir durch das Zelebrieren der Stagnation auf Wachstum, ohne dass klar wäre, dass wir damit einen greifbaren Vorteil (z.B. für die Umwelt) erzielen. Dies hat nur eine Folge: Der relative Abstieg im Vergleich zu all den anderen Regionen der Welt, die (gerne) weiterwachsen. Das Votum des Nachhaltigkeitsprofessors Tim Jackson «less stuff, more fun» erscheint deshalb als Gedanke, der im Elfenbeinturm geboren wurde (und dort bleiben sollte).
St.Gallen, 13. Mai 2016