"Vollgeld für sichere Bankguthaben" war am Montag in der Kommentarspalte des St.Galler Tagblatts zu lesen. Der Beitrag stammt von Mark Joób, Habilitand am Institut für Wirtschaftsethik der HSG und Mitinitiator der Vollgeldinitiative. Was die Vollgeldinitiative anbieten soll, ist nichts weniger als ein Heilsversprechen: Einerseits die Rettung vor den gierigen und unverantwortlichen Banken, anderseits die vollständige Indienststellung der Geldschöpfung für die Zwecke der Staatsfinanzierung. Selbst in konservativen Blättern geniesst die Initiative aufgrund ihres Sicherheitsversprechens sichtliches Wohlwollen (FuW, NZZ). Wer jedoch die Initiative im Wortlaut näher studiert, wird dieses Wohlwollen revidieren müssen.
Heute ist die Geld- und Kreditversorgung eine von Staat und Privaten gemeinsam getragene Verantwortung. Das heutige System, welches private Geldschöpfung (beschränkt) zulässt, ist durchaus mit Risiken belastet. Aufgrund der Gefahr von Kreditblasen ist es nicht überraschend, dass sich die Ökonomen über "Vollgeld" nicht einig sind und dass sogar der Währungsfonds mit Gedanken spielt, die in eine ähnliche Richtung gehen. Die Initianten wollen jedoch weit mehr, als das Finanzsystem bloss sicherer zu machen; sie wollen in ganz grundsätzlicher Weise ändern, wie Unternehmen und Haushalte künftig investieren.
Rolle der Banken im Vollgeldsystem
Es ist bemerkenswert, dass die Initianten den Bankenartikel in der Bundesverfassung unangetastet lassen. Sie erwecken so den Eindruck, als sei das Bankensystem nach Annahme der Vollgeldinitiative nach wie vor von der Privatwirtschaft zu organisieren. Der Bankenartikel wird von der Initative jedoch ausgehebelt: Neu solle der Bund "die Versorgung der Wirtschaft mit Geld und Finanzdienstleistungen [gewährleisten]. Er kann dabei vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen." Wie ein Mitinitiant schon früher einmal in der WOZ gefordert hat, wird der Finanzmarkt dadurch zu einem "Service Public". Der Finanzmarkt wird also zu einer vom Staat zu organisierenden Angelegenheit.
Der Bund wäre sogar befugt, die Kreditvergabe direkt zu steuern, im Extremfall über eine im Monopol agierende Staatsbank, da ja die Wirtschaftsfreiheit im Bereich der Finanzdienstleistungen nicht mehr gelten soll. Soweit der Bund private Banken noch weiter dulden würde, wären diese blosse Vertriebsstellen für das allein vom Bund geschaffene "Vollgeld". Andere Finanzierungsquellen dürfte es kaum noch geben: Gemäss dem Wortlaut der Vollgeldinitiative soll der Bund ja nicht nur Münzen und Banknoten schaffen, sondern sich auch die Kontrolle über das sog. Buchgeld aneignen. Andere Zahlungsmittel sind gemäss Initiative nur noch beschränkt zulässig bzw. zu bewilligen und zu beaufsichtigen.
Rolle der Haushalte und der Wirtschaft im Vollgeldsystem
Die Vollgeldinitiative will, dass der Bund die "Geschäftsbedingungen der Finanzdienstleister" gesetzlich regelt. Sie verlangt auch, dass die Nationalbank die Vollgeldmenge steuert und "das Funktionieren des Zahlungsverkehrs sowie die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister" gewährleistet. Der Bund müsste daher gewisse Vorstellungen darüber entwickeln, wer zu welchen Bedingungen und wofür Kredite erhält.
Die Kreditvergabe an die Unternehmen und Haushalte bzw. deren Investitions- und Konsumentscheide werden so unter den Vorbehalt des "Gesamtinteresses" gestellt. Kredite für den Hausbau? Aber bitte nur, wenn auch eine Photovoltaikanlage installiert wird! Kredite für den Ausbau der Fabrik? Nur unter dem Vorbehalt, dass auch genügend Lehrlinge ausgebildet und Corporate Social Responsibilty Standards eingehalten werden! Kredite zur Rettung von politisch gut vernetzten, aber unfähigen Unternehmern? Zukünftig kein Problem mehr!
Mit der staatlichen Kontrolle über das Geld und die Kreditvergabe erreicht die Vollgeldinitiative fast das, was zwei der Initianten schon 2011 gefordert haben: Sie wollen nämlich die Eigentumsrechte unter den Vorbehalt des öffentlichen Interesses stellen. Private Vermögensrechte sollen nach ihren Vorstellungen nur dann geschützt sein, wenn "alle am Kapitalbildungsprozess Beteiligten auch am Ergebnis angemessen berechtigt werden; das Kapital auf sozial- und umweltgerechte Weise genutzt wird; und es nicht zur Verzerrung politischer Prozesse oder zur unsachgemässen Einflussnahme auf amtliche Entscheide dient." Wer soll aber die Verwendung des Kapitals nach diesen Prinzipien steuern? Natürlich auch hier der Bund.
Schritte zum Helikoptergeld
Das von der "neuen" Nationalbank gedruckte Geld soll über den Bund oder über die Kantone oder direkt über die Bürger in Verkehr gebracht werden. Der Bund soll mit dem Geld öffentliche Aufgaben finanzieren, die Bürger die Realwirtschaft ankurbeln. Wieviel Geld in Umlauf gebracht wird, soll die Zentralbank weiterhin "unabhängig" entscheiden. Wie sich die Nationalbank aber dem unvermeidbaren politischen Druck, mehr Geld für gute Werke zur Verfügung zu stellen, entziehen können soll, ist völlig unklar. Kann sie es nicht stellt sich die Frage, wer bei der zu erwartenden Geldschwemme noch auf die Stabilität von solchermassen geschaffenem Papiergeld vertrauen soll?
Dass sich eine Zentralbank realpolitischen Zwängen nicht entziehen kann, sehen wir ja schon eindrücklich in Europa, wo die EZB ihr geldpolitisches Mandat immer weiter ausdehnt. Auch in der Schweiz ist der Katzenjammer gross, wann immer die Nationalbank auf eine Gewinnausschüttung an Bund und Kantone verzichtet. Die Inititanten wollen nun - unbekümmert von derzeitigen Entwicklungen in Europa - die Risiken der privaten Buchgeldschöpfung beseitigen, indem sie diese gänzlich dem (gutmeinenden) Staat anvertrauen. Man kann ob dieser grenzenlosen Gutgläubigkeit und Naivität nur erstaunt sein.
Die Vollgeldinitiative ist ein Wolf im Schafspelz. Sie verspricht Sicherheit vor einem risikobehafteteten Finanzsystem. Als Gegenleistung sollen wir den Staat mit unermesslicher Macht ausstatten und auf persönliche und unternehmerische Freiheiten verzichten. Der Preis, den die Initianten für diesen (vermeintlichen) Schutz vor Finanzkrisen verlangen, ist offensichtlich zu hoch.
St.Gallen, 28. Oktober 2016