Am Dienstag hat der Tessiner Grosse Rat beschlossen, dem Volk eine Mindestlohnbestimmung für die Kantonsverfassung vorzulegen. Knapp ein Jahr nach dem deutlichen Scheitern der Mindestlohninitiative auf eidgenössischer Ebene folgt der Kanton damit den Beispielen von Neuenburg und Jura, die ebenfalls solche Bestimmungen in der Kantonsverfassung verankert haben.
Ich selbst bin natürlich auch für Löhne, die eine menschenwürdige Lebensführung garantieren. "Wer kann schon gegen die Formulierung eines solchen Ziel sein?", hat sich wahrscheinlich auch Wirtschaftsdirektorin Laura Sadis (FDP) gedacht, als sie sich zu den Befürwortern gesellte. Die Meinungen dürften sich wohl erst bei der Frage teilen, wer denn am Besten in der Lage sein könnte, Vollbeschäftigung und faire Löhne zu garantieren?
Der Verfassungsgeber auf Bundesebene weist diese Aufgabe relativ klar den Sozialpartnern zu. In den Kantonen Tessin, Neuenburg und Jura ist man demgegenüber zur Auffassung gelangt, dass eine in der staatlichen Bürokratie angesiedelte Stelle die Steuerung des Arbeitsmarktes effektiv und effizient erledigen kann. Leider handelt es sich bei den drei genannten Kantonen ausgerechnet auch um diejenigen, die heute schon bei der Arbeitslosenquote schlecht abschneiden. Statt also die mühselige Verbesserung der Rahmenbedingungen an die Hand zu nehmen, übt sich die Politik lieber in der Errichtung eitler Symbole. Dass die Verwaltung mit einer differenzierten, nach Branchen und Tätigkeiten abgestuften Feinsteuerung eines überaus komplexen Arbeitsmarktes überfordert sein könnte, muss den kantonalen Parlamentarier ja - zumindest vor den Wahlen - nicht mehr kümmern.