Ich traute meinen Augen nicht, als am Dienstag in der NZZ ein Beitrag von Tamedia-Präsident Pietro Supino erschien, der wohl eine Debatte um den Service Public der SRG eröffnen sollte (ein Auszug aus "Weniger Staat, mehr Fernsehen: Service sans public? − Die neue Debatte um die SRG"). Was wollen die Verleger denn bitte jetzt noch erreichen? Während die Verlage offenbar jahrelang glaubten "Tic-Tac-Toe" mit der SRG zu spielen, sehen Sie sich nun im Endspiel mit einem Schachgrossmeister.
Mit der Ablösung der europäischen Fernsehrichtlinie durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste musste selbst Juristen klar sein, dass die Tage des klassischen linearen Fernsehens ("TV as you know it") gezählt sind. Wieso sollte sich jemand der "Programmierung" eines TV-Veranstalters unterwerfen, wenn die Inhalte zu beliebiger Zeit im Internet abgerufen werden können? Wieso sollte jemand für den Konsum dieser Inhalte noch einen "Fernseher" benutzen? Die SRG hat diese Entwicklung vorausgesehen und sich mithilfe einer regulatorischen Nische ins Informationszeitalter gerettet. Unter dem unscheinbaren Titel "übriges publizistisches Angebot" (Art. 25 Abs. 3 Bst. b RTVG) bietet sie heute eine grosse Vielfalt von Inhalten im Internet an. Die gesetzliche Bestimmung, die das erlaubt, wurde am 24. März 2006 verabschiedet. Eine Gegenwehr der Verlage hätte vorher erfolgen müssen.
Wer langfristig denkt, der musste die Finanzierung des Internet-Angebots vorerst als nebensächlich ansehen. Vermutlich haben die übrigen audiovisuellen Medienanbieter diesen Umstand unterschätzt, als sie im Jahr 2009 sich selbst (und der SRG!) das Recht zur Werbung mit Bier erkämpften. Der Beitrag von Pietro Supino zum Inhalt des Service Public zielt daher ins Leere: Es geht bei der kommenden Abstimmung vom 14. Juni 2015 über das RTVG nicht um Inhalte. Die SRG hat diesbezüglich mit ihrem breiten Angebot im klassischen Fernsehen und im Internet längst unwiderrufliche Fakten geschaffen.
Was wir nun erleben dürfen, ist der krönende Abschluss einer langfristig angelegten Strategie, welche die Finanzierung der SRG vom Empfangsgerät löst. Die Existenz der SRG ist damit langfristig gesichert. Mit der (übrigens verfassungswidrigen) Haushaltsabgabe fliessen finanzielle Mittel selbst dann zur SRG, wenn niemand mehr deren Inhalte konsumieren sollte. Wie die SRG diese 1,2 Mrd. CHF verwendet? Ob die SRG ihre Ziele gemäss Leistungsauftrag erreicht? Das alles geht den Staat nichts an… Die Medienfreiheit gilt schliesslich auch für die staatsnahen Medien. Ein wahrer Geniestreich!
St.Gallen, 3. April 2015