Kritiker des sogenannt "sanften Paternalismus" (Nudging) äussern meist die Befürchtung, dass die sachte Steuerung durch Stupser, Anreize und Informationen schnell einmal durch harte Gebote und Verbote (klassischen, harten Paternalismus) ersetzt würde. Mit den "Nudges" begebe man sich auf eine schiefe Ebene ("slippery slope"), die unweigerlich zur Elimination jeglicher persönlicher Entscheidungsautonomie führen müsse. Die Befürworter dieser staatlichen Steuerung kontern dann oft, dass es für die Existenz einer solchen "schiefen Ebene" keinerlei Hinweise gäbe; mit den nudges werde eine optimale Regelung erreicht, deren Verschärfung keineswegs unvermeidlich erscheint.
Mit Brief vom 25. August hat sich die ewz nun entschlossen, in dieser Hinsicht ein schlechtes Beispiel zu liefern. Die Stadtzürcher haben ab 1. Januar 2015 nur noch die Möglichkeit, Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Unter dem Gesichtspunkt der slippery slope ist die Entwicklung dahin spannend. Begonnen hat sie 2006 mit einer Kampagne, die die einzelnen Stromprodukte (mixpower, naturpower, solartop) farblich kennzeichnete und die mit der Signalfarbe Rot die politische (=soziale?) Präferenz herausstrich:
Ich persönlich habe mich für das Produkt ewz.mixpower entschieden. Grund dafür war nicht eine Ideologie oder das Geld, sondern weil ich das Vorgehen der ewz bei der Vermarktung fragwürdig fand. Wer sich nicht aktiv wehrte, erhielt automatisch das Produkt ewz.naturpower, obwohl dieses teurer war. Besonders konsumentenfreundlich ist dies nicht. In den letzten Jahren musste ich mehrmals aktiv tätig werden (zuletzt bei einem Umzug), um meine Wahl für "verwerflichen Strom" zu bestätigen. Ich habe diese Produktwahl auch dann beibehalten, als die ewz auf den Namen "atommixpower" umgestellt hat und mir quasi per Wink mit dem Zaunpfahl klar gemacht hat, dass ich mich asozial verhalte. Zu diesem Zeitpunkt war ich wohl Teil einer Minderheit.
Mit der Produkteumstellung per 1. Januar 2015 wird die ewz mir nur noch Ökostrom anbieten. Dies, obwohl sie effektiv weiterhin Strom aus Atomkraftwerken bezieht und diesen lediglich mit Zertifikaten "vergrünt". Der Atomstrom findet nach wie vor Verwendung; nur buchhalterisch fliesst er nicht aus meiner Steckdose. Wie von den Nudge-Kritikern befürchtet, werden die störrisch bleibenden Konsumenten nicht mehr nur gestupst, sondern aktiv gelenkt. Alles zu ihrem Besten.
St.Gallen, 5. September 2014