Egal ob man der "Energiewende" befürwortend oder ablehnend gegenübersteht: Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass die "soziale Akzeptanz" den Schlüssel für den Erfolg oder das Scheitern der vom Bundesrat vorgeschlagenen Energiestrategie 2050 bilden wird. Die in der vorberatenden Kommission (UREK-N) derzeit diskutierten Änderungen werden nicht gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung, sondern nur mit derer Zustimmung durchsetzbar sein. Man denke an den Bau neuer Gross- und Kleinkraftwerke, die Änderung des Energiemix, strengere Energieeffizienzvorschriften, die Umverteilung von expliziten und implizit gewährten Subventionen und teurere Energiepreise. Der Kreis der durch die Energiestrategie 2050 erzeugten "Betroffenheiten" ist offensichtlich sowohl unüberschaubar als auch divers, was im politischen Prozess vielfach ein Rezept zum Scheitern darstellt ("unheilige Allianzen").
Anlässlich der ersten Tagung des Energieforschungszentrums CREST werden sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen mit den Bedingungen sozialer Akzeptanz befassen (Anmeldung hier). Der Akzeptanz-Begriff kann nur durch gemeinsame Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven – Soziologie, Ökonomie, Management, Recht, Psychologie – Konturen erlangen. Die Rechtwissenschaft ist offensichtlich auch eine Wissenschaft der Lösung von sozialen Konflikten. Sie stellt über Wahlen, Abstimmungen und Verfahren Instrumente zur Verfügung, die soziale Konflikte lösen und soziale Akzeptanz herstellen können. Diese vielfach über Jahrhunderte gewachsenen Rechtsinstitute sollen durch die Energiestrategie 2050 – meist im Sinne der Verfahrensbeschleunigung – modifiziert werden; es wird sich erst zeigen, ob diese Modifikationen soziale Akzeptanz eher fördern oder ihr entgegenstehen (siehe hier schon mein Vortrag zur Glühbirne).
Obwohl die Beanspruchung rechtlicher Entscheidverfahren regelmässig viel Zeit in Anspruch nimmt, hat der offene Diskurs im Vorfeld einer Abstimmung und die Unabhängigkeit gerichtlicher Instanzen im konkreten Streit doch auch deutliche Vorteile. Während sich rechtliche Verfahren vordringlich damit befassen, wessen geäusserte Willen der legitimere ist, scheinen andere Sozialwissenschaften auch die Frage zuzulassen, wie ein geäussertes Anliegen modifiziert werden kann (bzw. im Falle des verpönten "social engineering": manipuliert werden kann). Ob eine solcherweise "hergestellte" Akzeptanz nachhaltigen Bestand hat, muss jedoch erst unter Beweis gestellt werden. Das Recht wird eine wichtige Rolle dabei spielen, das Bestehen oder Nichtbestehen der Akzeptanz zum Ausdruck zu bringen.
St.Gallen, 12. September 2014