Wer sich in amerikanischen Restaurants schon über das obligatorische Schild "employees must wash hands before returning to work" amüsiert hat, wird verwundert feststellen, dass die britischen Gesundheitsbehörden noch einen Schritt weiter gegangen sind: Obligatorisch in britischen Lebensmittelbetrieben ist das Anbringen eines Hinweises, der auch die Kunden zum Händewaschen auffordert (ohne "please" und "thank you"). Für die mehrheitlich händewaschenden Gäste ist das Schild lediglich eine Erinnerung an weniger hygienebewusste Mitmenschen. Sinn - wenn man so sagen darf - macht das Schild nur, wenn sich nicht-händewaschende Zeitgenossen dadurch zu einer Verhaltensänderung bewegen lassen. Da das Schild obligatorisch ist, wird es Studien geben, die eine solche Verhaltensveränderung statistisch belegen; "Regulierungsfolgenabschätzung" nennen sich die Untersuchungen, welche die Kosten (Schilder kaufen = höhere Preise) und Nutzen (Händewaschen = weniger Leute erkranken = grössere volkswirtschaftliche Produktivität und weniger Gesundheitskosten) solcher regulatorischer Massnahmen gegenüberstellen. Wer dies als ausländische Spinnereien abtut, sei daran erinnert, dass auch das Bundesamt für Gesundheit die Betriebe in der Schweiz mit Anleitungen zum Händewaschen zupflastert (link zum Flyer "Richtiges Händewaschen").
All diese Massnahmen sind Teil eines Regulierungsansatzes, der den Menschen nur "beschränke Rationalität" zumisst. Diese beschränkte Rationalität begründet ein Bedürfnis nach Anleitung zum "richtigen" Handeln. Gemäss neueren Theorien erfolgt diese Anleitung nicht durch traditionelle Verbote und Gebote, sondern durch sog. Anstupser oder "Nudges". Solche Nudges können in verstärkter Aufklärung über Fehlverhalten, in der Erleichterung der als richtig angesehenen Entscheidalternative, in moralischen Appellen, in schlechtem Gewissen, in sozialer Ausgrenzung oder in sonstiger Manipulation der Entscheidungsarchitektur liegen. Durch eine Vielzahl von - sog. sanft paternalistischen - Nudges soll versucht werden, den Menschen zu einem guten, wertvollen Leben anzuhalten.
Diese Versuche gleiten, wie hier, schnell ins Lächerliche ab. Sie verlieren dann ihre Wirkung und animieren zu Trotzverhalten. Leicht geht auch vergessen, dass Behörden oft denselben kognitiven Verzerrungen und damit derselben beschränkten Rationalität wie alle Menschen unterliegen. Erweist sich der Expertenentscheid, der einem bestimmten Nudge zugrunde liegt, als falsch, so kann dies zu einer globalen Fehlsteuerung führen. Das gleichförmige Verhalten, das "Nudges" fördern sollen, wirkt dann der Streuung der Risiken entgegen, die normalerweise mit dezentralen Entscheidungen im Markt erreicht wird. Auch können sich an sich nützliche Anreize auf individueller Ebene als schädlich erweisen: Was für eine "Durchschnittsperson" gut ist, setzt bei anderen Personen allenfalls Fehlanreize (z.B. dieselben Ernährungshinweise für Übergewichtige und für Magere). Es sind grosse Zweifel angebracht, ob es den von Experten definierten "Norm-Menschen" bzw. ein angemessenes "Normalverhalten" überhaupt gibt. Wer sich an den vielen Nudges stört, sollte also nicht zögern, Behörden regelmässig daran zu erinnern: Wir sind nicht ganz blöd.
Lesetipp: Das grundlegende Werk "Nudge" von Richard Thaler/Cass Sunsstein. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Regulierungsansatz findet sich in meinem kürzlich erschienenen Buch "Kooperative Risikovorsorge".