Massnahmen gegen das Passivrauchen werden nicht nur mit dem Risiko für die Gesundheit, sondern auch mit der Bewahrung des Nichtrauchers vor einer «subjektiven Empfindung der Belästigung» begründet (BGE 132 III 257, 260). Im Zusammenhang mit konkreten Massnahmen werden diese beiden Schutzbereiche indes leider kaum unterschieden, geschweige denn konkreter gefasst. So war es auch im Fall des X., der am 12. Februar 2011 um 19.40 Uhr auf dem Quai Nr. 13 des Busbahnhofs der Freiburgischen Verkehrsbetriebe eine Zigarette rauchte. X. wurde mit Strafbefehl zu einer Busse von 200 Fr. verurteilt, dann jedoch in allen kantonalen Instanzen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft zog den Fall vor das Bundesgericht, unterlag aber auch dort (BGer, Urteil 6B_61/2012 vom 30. November 2012).
Zu beurteilen war, ob der Busbahnhof ein «geschlossener Raum» im Sinne der Gesetzgebung zum Schutz vor Passivrauchen ist. Das Bundesgericht schloss sich dabei der Vorinstanz an, die vor allem auf den optischen Eindruck abstellte. Insoweit bietet das Urteil kaum generalisierbare Erkenntnisse. Interessant ist, dass das Bundesgericht, anders als die Vorinstanz, die gute Luftzirkulation bzw. die geringe Rauchakkumulation im Busbahnhof als irrelevant erachtete (E. 2.6). Unbeantwortet bleibt damit, ob denn das Rauchen in einem mit Abgasen gefüllten Busbahnhof für Menschen in unmittelbarer Umgebung überhaupt gefährlich oder lästig sein könnte. Immerhin handelt es sich beim Freiburger Busbahnhof um eine fünf Meter hohe Halle, die mit breiten Ausgängen versehen ist und wegen der Abgase über leistungsstarke Abluftventilatoren verfügt. Gerade das vom Bundesgericht jüngst so hoch gehaltene Verhältnismässigkeitsprinzip (BGE 139 I 16, 23 ff.) würde verlangen, dass Sanktionen an den objektiv verursachten Folgen des Passivrauchens gemessen werden.
Eine Kausalität zwischen Passivrauchen und gesundheitlichen Schäden kann nicht hergestellt werden (vgl. BGer, Urteil U 26/07 vom 28. Januar 2008, zu Berufskrankheiten). Von X. geht daher keine Gefahr im rechtlichen Sinne aus. X. ist höchstens in der Lage, durch sein Verhalten die gesundheitlichen Risiken für Dritte zu erhöhen. Damit betreten wir das Feld der auf empirischen Methoden beruhenden Epidemiologie. Vertreter einer normativ ausgerichteten Wissenschaft haben hier Berührungsängste, die durchaus berechtigt sind. Eine Auswertung epidemiologischer Erkenntnisse verlangt Grundkenntnisse in Statistik, die in der juristischen Ausbildung meist nicht vermittelt werden.
Praktische Schwierigkeiten kommen hinzu. Üblicherweise würden Kohortenstudien über das mutmasslich vermehrte Auftreten von Krankheiten wegen Passivrauchen in Busbahnhöfen Aufschluss geben. Dazu wären zwei Gruppen von Nichtrauchern zu bilden, die in Alter, Schulbildung, Arbeit, Lebensstandard, etc. vergleichbar sind. Eine Gruppe wäre Passivrauch zu exponieren, die andere nicht. Nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums (z.B. 30 Jahre) wäre das Auftreten von Neuerkrankungen (Asthma, Lungenkrebs, Hirnschläge und Herzinfarkte) bei der exponierten und der nichtexponierten Gruppe zu untersuchen. Gesucht würde nach einem Zusammenhang zwischen der Exposition (Passivrauchen) und der Inzidenz (Neuerkrankungen), was die Bestimmung des relativen Risikos der exponierten Personen erlaubt. Die langen Beobachtungszeiträume, die regelmässig geringen Teilnehmerzahlen und die drohenden Verfälschungen – etwa wenn nur schon eine kleine Anzahl von Personen ihr Verhalten ändert, z.B. selbst zur Zigarette greift – schwächen die Aussagekraft der Ergebnisse. Die Verfasser solcher Studien lockern daher häufig das Signifikanzniveau und begnügen sich mit breiten Konfidenzintervallen, um überhaupt Aussagen machen zu können (Publication Bias).
Was tun, wenn verlässliche Daten fehlen? Ein Rückgriff auf allgemeine Erkenntnisse liegt nahe, so etwa auf die im Nationalen Programm Tabak 2008–2012 gemachten Aussagen des BAG (S. 11): «Mit einem rauchenden Partner bzw. einer rauchenden Partnerin steigt das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken um 24%. Ist man zu Hause, in einem öffentlichen Raum oder am Arbeitsplatz regelmässig dem Passivrauchen ausgesetzt, so steigt das Risiko für einen Herzinfarkt um 25% und für einen Hirnschlag um 80%.» Diese relativen Risiken erscheinen prima vista als nicht unerheblich. Sie verlieren jedoch angesichts des – gerade bei Lungenkrebs – sehr geringen absoluten Erkrankungsrisikos eines Nichtrauchers an Gewicht. Im Busbahnhof-Fall kommt hinzu, dass die Exposition eines Nichtrauchers im Busbahnhof viel schwächer ist, vor allem kürzer. Das BAG vertritt den Standpunkt, dass «Tabakrauch … selbst in sehr geringen Konzentrationen nachweislich gesundheitsschädigend» sei (BAG, a.a.O., S. 11). Ob diese aus dem Strahlenschutz stammende «Linear No-Threshold Hypothesis (LNT)» auf das Passivrauchen übertragen werden kann, ist umstritten. Die LNT steht an sich quer zum Schutzkonzept bei allen anderen Luftschadstoffen (Grenzwerte bzw. Schädlichkeitsschwellen nach Art. 13 f. USG). Auch ohne epidemiologische Ausbildung könnte man sich daher zur Aussage hinreissen lassen, dass das Rauchen von Zigaretten in quasioffenen Busbahnhöfen wohl gesundheitspolizeilich irrelevant sei.
Die naheliegende Quintessenz wäre: Die staatliche Risikobekämpfung ist auf die anderen im Busbahnhof lauernden Risiken auszurichten, etwa die schädlichen Abgase, die fahrenden Busse und die erhöhte Kriminalität. Die interdisziplinäre Perspektive ermöglicht eine solche Konkretisierung des Verhältnismässigkeitsmassstabs und die Plausibilisierung des vorliegenden juristischen Auslegungsergebnisses, nämlich dass X. straffrei bleiben muss. Soll das Rauchen im Freien verboten werden, kann nicht mit einer Gefährdung Dritter argumentiert werden. Wir sind nicht im Bereich des gefährlichen, sondern des allenfalls lästigen Verhaltens. Der rechtliche Massstab muss hier strenger sein (vgl. BGE 138 IV 13, «Nacktwandern»). Nicht alles muss normiert, nicht jede Abweichung vom sozialen Standard muss sanktioniert werden.
Dieser Beitrag erschien als Editorial in ZBl 5/2014, 229 f.