Am 22. September 2013 stimmen wir über eine beschränkte Liberalisierung der zulässigen Arbeitszeiten ab. Diese Änderung soll es Autobahnraststätten und Tankstellen an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr neu erlauben, rund um die Uhr Personal zu beschäftigen, um Waren des Detailhandels zu verkaufen. Die Vorlage mit den Argumenten der Befürworter und Gegner ist hier wunderbar erläutert. Ich selbst habe mich in diesem Blog als Freund längerer Ladenöffnungszeiten, aber Gegner einer bundesweiten Vereinheitlichung geoutet.
Ihren Ursprung hat die Gesetzesänderung in einer Intervention des SECO gegen nächtlich geöffnete Tankstellenshops, welche vom Bundesgericht geschützt wurde. Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid ein allgemeines Bedürfnis der Bevölkerung nach nächtlichem Wareneinkauf verneint. Diese Auffassung der Richter mag für die Wohnquartiere in Lausanne sicher zutreffen, wird aber durch einen nächtlichen oder sonntäglichen Besuch des Zürcher Hauptbahnhofs klar widerlegt. Die Gesetzesänderung soll diese konservative Rechtsprechung nun korrigieren.
Die Gegner der Vorlage befürchten, dass die Vorlage schliesslich zu einem 24-Stunden-Arbeitstag im Detailhandel führt. Man kennt dies teilweise aus dem Ausland (und in meinem Fall: lernt dies schätzen). Wer einen Blick in das Arbeitsgesetz wirft und die lange Liste der Ausnahmen vom Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit durchgeht, erkennt aber sofort, dass der 24-Stunden-Arbeitstag für viele Arbeitnehmer schon lange Realität ist. Das Motto der Kampagne der Gegner erscheint in diesem Licht als romantisierte Vorstellung. Wir leben in einer Gesellschaft, die ohne die Bereitschaft vieler Arbeitnehmner zur Leistung von Nacht- und Sonntagsarbeit nicht funktionieren würde.
Die Liste der heutigen Ausnahmen findet sich in Art. 15 ff. ArGV 2: Krankenanstalten und Kliniken; Heime und Internate; Spitex-Betriebe; Arzt-, Zahnarzt- und Tierarztpraxen; Apotheken; Medizinische Labors; Bestattungsbetriebe; Tierkliniken; Zoologische Gärten; Tiergärten und
Tierheime; Gastbetriebe; Spielbanken; Betriebe in Fremdenverkehrsgebieten; Kioske und Betriebe für Reisende; Betriebe in Bahnhöfen und
Flughäfen; Bäckereien; Konditoreien; Confiserien; Fleischverarbeitende Betriebe; Milchverarbeitungsbetriebe; Blumenläden; Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen sowie Nachrichten- und
Bildagenturen; Radio- und Fernsehbetriebe; Telekommunikationsbetriebe; Telefonzentralen; Banken, Effektenhandel, Börsen und deren Gemeinschaftswerke; Berufstheater; Berufsmusiker; Betriebe der Filmvorführung; Zirkusbetriebe; Schaustellungsbetriebe; Sport- und Freizeitanlagen; Skilifte und Luftseilbahnen; Campingplätze; Konferenz-, Kongress- und Messebetriebe; Museen und Ausstellungsbetriebe; Bewachungs- und
Überwachungspersonal; Betriebe des Autogewerbes; Bodenpersonal der Luftfahrt; Bau- und Unterhaltsbetriebe für
Eisenbahnanlagen; Betriebe der Energie- und Wasserversorgung; Betriebe der Kehricht- und Abwasserentsorgung; Reinigungsbetriebe; Betriebe für die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte.
Hinzu kommen die allgemeinen Ausnahmen im betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes, namentlich für öffentliche Verwaltungen, Betriebe des öffentlichen Verkehrs, Betriebe der Seeschifffahrt, landwirtschaftliche Betriebe und private Haushaltungen sowie Personen geistlichen Standes, das Personal öffentlicher Verwaltungen ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen, die Besatzungen von schweizerischen Flugbetriebsunternehmen, Arbeitnehmer in einer höheren leitenden Tätigkeit, Wissenschafter, Künstler, Lehrer an Privatschulen, Heimarbeitnehmer sowie Handelsreisende. Nicht anwendbar ist das Gesetz auch auf Familienbetriebe (in Basel offenbar so bekannt: "Türkelädeli").
Nein zum 24-Stunden-Arbeitstag? Jede Pflegefachfrau oder Ärztin dürfte sich hier die Augen reiben. Get Real!