Am 18. Juni 2013 hat der Nationalrat vorläufig und am 19. Juni 2013 endgültig Nichteintreten auf den vom Bundesrat vorgeschlagenen Entwurf zu einem "Bundesgesetz über Massnahmen zur Erleichterung der Bereinigung des Steuerstreits der Schweizer Banken mit den Vereinigten Staaten" beschlossen. Es wird also keine "LexUSA" geben.
Die LexUSA ist mir nicht sympathisch (ein Euphemismus). Ob die LexUSA der sprichwörtliche saure Apfel ist, in den wir beissen müssen/sollen, kann ich nicht abschätzen. Mangels Informationen über die bestehenden Vereinbarungen und das mögliche Verhalten der relevanten Akteure ist mir die Vornahme einer Risikoschätzung unmöglich. So geht es wahrscheinlich auch den sogenannten Experten (wenn sie ehrlich sind), den Parlamentariern und den meisten Mitbürgern.
Die meisten von mir bisher gelesenen Analysen zur Ablehnung der LexUSA setzen die Einhaltung des geltenden Rechts durch die Banken ohne weiteres voraus (siehe aber dieses Interview mit Manuel Ammann). Die Annahme des gesetzeskonformen Handelns ist vorliegend aber kaum sachgerecht, und zwar nicht etwa aufgrund des "past record" gewisser Banken in der jüngsten Vergangenheit. Die Einhaltung oder Nichteinhaltung bestehenden Rechts ist grundsätzlich Ergebnis eines rationalen Kalküls, welches Gary Becker schon 1974 dargelegt hat.
Man kann also davon ausgehen, dass die Entscheidträger in den Banken alle ihre Handlungsoptionen einschliesslich des Rechtsbruchs unter Aspekten von Kosten und Nutzen analysieren. Tun sie dies, so werden sie folgende Überlegungen anstellen, differenzierend nach den Risiken für ihr Unternehmen und ihren persönlichen Risiken:
1. Die USA werden nach Ablehnung der LexUSA ein Exempel statuieren wollen. Dann werden sie eine oder mehrere Banken anklagen (die Rede ist von zunächst 5 Banken, welche auf einer "Todesliste" stehen sollen). Die Wahrscheinlichkeit des "Überlebens" einer solchen Anklage - jedenfalls ohne Eingreifen der SNB - ist bekannt, sie beträgt 1:19, also knapp 5%. Als Verwaltungsrat einer der anvisierten Banken wären die Kosten einer Nichteinigung mit den USA als sehr hoch einzustufen. Die persönlichen Risiken einer zukünftigen Einreise in die USA (selbst des Verlassens der Schweiz!) sind ebenfalls hoch.
2. In der Schweiz stehen rechtliche Hindernisse der Auslieferung der von den USA geforderten Daten entgegen. Zu erwähnen ist vor allem das Verbot von Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271 Strafgesetzbuch, StGB) und das Datenschutzgesetz (DSG). Die maximale Strafdrohung bei Art. 271 StGB ist eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, bei einem Verstoss gegen bestimmte Pflichten des DSG ist die angedrohte Strafe eine Busse. Geht man (rational) davon aus, dass der Verwaltungsrat einer Bank nicht eine Freiheitsstrafe riskiert, um "seine" Bank zu retten, so nimmt das oben geschilderte Drama seinen Lauf: Die fragliche Bank wird angeklagt und geht wahrscheinlich unter.
3. Nun darf man aber annehmen, dass der Bundesrat auch bei einer Ablehnung der LexUSA weiterhin Bewilligungen erteilt, die eine Bestrafung nach Art. 271 StGB ausschliessen. Das Kalkül des Verwaltungsrates einer Bank wird sich dann ändern. Mit einer 271er-Bewilligung steht bei einer illegalen Datenlieferung "nur" noch eine Bestrafung wegen Verletzung des DSG im Raum. Die persönlichen Risiken eines solchen Verstosses liegen bei maximal CHF 10'000 (das ist der Höchstbetrag einer Busse - wir sind im Übertretungsstrafrecht). [Nebenbemerkung: Die Bestrafung von Unternehmen nach Art. 102 StGB ist bei Übertretungen nicht vorgesehen (Art. 105 Abs. 1 StGB). Die Homepage des EDÖB wurde in diesem Punkt offenbar nicht aktualisiert.]
4. Selbst wenn die Bank nicht schnell genug agiert und ein Mitarbeiter oder ein Dritter gegen die Datenherausgabe eine superprovisorische Verfügung bei einem Gericht erwirkt, so bleiben wir im Übertretungsstrafrecht: Die angedrohte Strafe bei Verstoss gegen eine solche gerichtliche Verfügung ist auch eine Busse (Art. 292 StGB).
5. Die weiteren Auswirkungen eines Verstosses gegen das DSG sind überschaubar und kalkulierbar. Für den Verwaltungsrat einer Bank steht die Bewahrung der bankenrechtlichen Gewährsträgereigenschaft im Vordergrund (Die "Eignung", ein Bankgeschäft zu führen nach Art. 3 Abs. 2 BankG). Durch eine blosse Übertretung (ab CHF 5'000 mit Strafregistereintrag) scheint seine Gewähr aber kaum in Frage gestellt. Auf die Bank selbst werden bei einem Verstoss gegen das DSG zivilrechtliche Forderungen (Schadenersatz aufgrund Persönlichkeitsverletzung) zukommen, welche aber für den Kläger schlecht zu beziffern und darum schwierig durchzusetzen sind (was ist der finanzielle Schaden, wenn man nicht mehr die Schweiz verlassen kann?). Weiter zu beachten sind freilich Reputationsrisiken für die Bank, die Beeinträchtigung des Recruitings neuer Mitarbeiter in der Zukunft, etc. Ingesamt erscheinen diese "Kollateralschäden" aber kaum grösser als der Schaden bei einer Anklage in den USA. Eine Entscheidung allein basierend auf möglichen Kostenfolgen - die Wahl zwischen Skylla und Charybdis - würde vermutlich den Rechtsverstoss in der Schweiz nahelegen. Ein unschönes Ergebnis.
Zweck dieses Blogs ist nicht die Aufforderung zum Gesetzesbruch, sondern das Aufzeigen der Handlungsoptionen in einer Situation, in welcher ein vollständig gesetzeskonformes Verhalten sowohl in den USA als auch in der Schweiz nicht möglich ist. Aufgrund der Analyse erscheint klar, dass sich ein zweckrational handelnder Verwaltungsrat auch bei einer Ablehnung der LexUSA zu einer Datenherausgabe entscheiden könnte. Dies nach Abwägung aller möglichen Folgen sowohl in den USA als auch in der Schweiz und unter bewusster Inkaufnahme eines mögliches Verstosses gegen das DSG. Wir dürfen gespannt sein.
Nachtrag: Auszüge dieses Beitrags und Ergänzungen finden sich in der Basler Zeitung vom 2. Juli 2013, in der Südostschweiz, der Basellandschaftlichen Zeitung und der Aargauer Zeitung vom 6. Juli 2013 sowie in der Solothurner Zeitung Online vom 10. Juli 2013.