Der Bundesrat erweitert die publizistischen Möglichkeiten der SRG im Internet. Neu kann die SRG auch Texte veröffentlichen, die keinen Bezug zu Radio- oder Fernsehsendungen haben. Damit soll der Service public gestärkt werden. Die revidierte SRG-Konzession verlangt, dass drei Viertel
aller Texte im Internet mit audiovisuellen Inhalten verknüpft sind. Texte ohne Sendungsbezug
dürfen maximal 1000 Zeichen umfassen. Die SRG wird damit ein Stück weit zu einer "Zeitung".
Die gebührenfinanzierte Positionierung der SRG im Internet bedroht die freie Presse. Diese muss die Kosten des Wandels von Print zu Internet mit Geldern finanzieren, welche sie am freien Markt erwirtschaftet. Die Erfahrungen vor allem in Deutschland zeigen, dass die gebührenfinanzierten Sender im Internet eine sehr starke Präsenz aufbauen konnten (News-Portale). Diese Präsenz konkurrenziert die Angebote der freien Presse viel stärker als im Analog-Zeitalter. Die angebotenen Inhalte der Fernsehsender und der Presse sind im Internet kaum noch unterscheidbar. Gleichzeitig ist klar, dass das linear ausgestrahlte Fernsehen in heutiger Form ein Auslaufmodell ist. So sind die Bemühungen der SRG durchaus verständlich, ihre Angebote ins Internet zu verlagern und sich gleichzeitig eine geräteunabhängige Finanzierungsquelle zu erschliessen (geplante Haushaltsabgabe). Ob diese Ausweitung des Service Public verfassungsrechtlich zulässig ist, ist stark zu bezweifeln.
Art. 93 Abs. 1 BV verleiht dem Bund umfassende Kompetenzen im Bereich der elektronischen Massenmedien. Die Formulierung des Absatzes weist auf einen weiten Gestaltungsspielraum hin. Dieser Gestaltungsspielraum ist im Zusammenhang mit dem Leistungsauftrag (Absatz 2) und der Gewährleistung der Unabhängigkeit und Autonomie der Programmveranstalter (Absatz 3) zu lesen und im Lichte der Wirtschaftsfreiheit und Medienfreiheit auszulegen. Dabei fällt auf, dass sich der Leistungsauftrag nach Absatz 2 vom Wortlaut her ausschliesslich an Radio und Fernsehen richtet. Die Diskussionen im Parlament bekräftigen die Beschränkung des Leistungsauftrags auf den engen Bereich von Radio und Fernsehen. Im Internet sind daher weniger stark steuernde Regeln möglich als im Bereich von Radio und Fernsehen. Bei den Massenmedien im Internet kann der Bund vor allem polizeiliche Ziele verfolgen. Dazu gehören der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz, der Jugendschutz (z.B. der Schutz vor pornographischen Sendungen) und der Konsumentenschutz (z.B. der Schutz vor Schleichwerbung).
Der Leistungsauftrag für Radio und Fernsehen wird heute nicht mehr mit dem Bedürfnis nach Verteilung der knappen Programmplätze – namentlich im Sinne der Vielfalt – begründet. Im Gegenteil wird behauptet, dass der ökonomische Wettbewerb die für eine kulturelle Vielfalt und einen lebendigen politischen Diskurs erforderliche publizistische Konkurrenz nicht ermöglicht. Es wird unterstellt, dass die Programmanbieter den Minderheiten und den Vertretern wenig attraktiver Meinungen den Zugang zu massenwirksamen Kanälen kaum ermöglichen würden. Dagegen würden vor allem Masseninteressen bedient, welche mutmasslich die vom Fernsehen erwarteten sozialisierenden Wirkungen nicht erfüllen. Hinzu tritt das Argument, dass eine Binnenvielfalt an Programmveranstaltern notwendig mit einer Schwächung der SRG einhergehen müsse, was deren Wettbewerbsfähigkeit auf europäischem Niveau und damit die Produktion und Ausstrahlung spezifisch schweizerischer Programme gefährde. Es geht in Anlehnung an LUHMANN darum, dass die von den Massenmedien geschaffene "Hintergrundrealität" bzw. das die Kommunikation erleichternde, gemeinsame gesellschaftliche "Gedächtnis" in einen staatlich regulierten, und demnach als "korrekt" anzusehenden Rahmen eingebettet wird. Der Verfassungsgeber beauftragt den Staat daher mit der Gewährleistung einer publizistischen Grundversorgung im Bereich von Radio und Fernsehen.
Ob ein Leistungsauftrag auch für Massenmedien im Internet zu formulieren ist, wäre gesellschaftlich neu zu diskutieren. Der differenzierte Wortlaut von Art. 93 Abs. 2 BV besagt klar, dass
die Bereitstellung eines Service Public im Internet heute unzulässig ist. Bei der Neuformulierung eines verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags für Massenmedien im Internet wäre zu berücksichtigen, dass das Internet für die Meinungsvielfalt durch seine Vielfalt an möglichen "Kanälen" strukturell sehr günstige Voraussetzungen legt ("the long tail"). Die Notwendigkeit eines spezifisch staatlich geförderten Verbreitungskanals ist heute daher weniger ausgewiesen. Die aufgrund des Technologiewandels bedrohten Printmedien geniessen dagegen einen verfassungsrechtlich sehr hohen Stellenwert (Art. 17 BV). Auf sie ist besonders Rücksicht zu nehmen (Art. 93 Abs. 4 BV).
Weitere Ausführungen und Quellenangaben finden sich in meinem Beitrag "Regulierung von audiovisuellen Abrufdiensten (Video On Demand)", in: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (ZBl) 110 (2009), Nr. 7, S. 349-386.