Die Ladenöffnungszeiten in der Schweiz sind rechtlich ein komplexes und nicht sehr leicht durchdringliches Gefüge aus eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Regeln. Der Bund ist in der Schweiz zuständig für die Gesetzgebung zum Schutz der Arbeitnehmer und hat hierfür umfangreiche Regeln erlassen (ArG und mehrere Vollzugsveordnungen, darunter ArGV1, ArGV2, ArGV3 und ArGV4). Kurz gesagt regelt der Bund vor allem die nur eingeschränkt mögliche Nacht- und Sonntagsarbeit. Auf Regelungen des Bundes ist zurückzuführen, dass Coop und Migros am Sonntag geschlossen, die RailCities und sehr kleine Läden aber offen sind. Die Kantone und Gemeinde regeln dagegen die Ladenöffnungszeiten ausschliesslich zum Zweck der Nacht- und Sonntagsruhe. Es geht bei den kantonalen und kommunalen Regeln nicht um den Schutz der Arbeitnehmer, sondern um den Schutz vor Lärm am Sonntag und in der Nacht. Dieses Regelungsgefüge ist tatsächlich etwas verwirrlich und unbefriedigend.
Am 15. Juni 2012 hat nun Filippo Lombardi eine Motion zur Teilharmonisierung der Ladenöffnungszeiten eingereicht. Diese wurde von beiden Räten behandelt und angenommen, sogar der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion.
Ich selbst bin ein feuriger Verfechter liberaler Ladenöffnungszeiten. Dennoch ist die Motion Lombardi aus verfassungsrechtlicher Sicht äusserst fragwürdig. Lombardi möchte seine Regelung der Ladenöffnungszeiten gerne ins Binnenmarktgesetz schreiben. Tatsächlich hat der Bund den verfassungsrechtlichen Auftrag, für einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu sorgen (Art. 95 Abs. 2 BV). Die Regelung von Ladenöffnungszeiten berührt jedoch den Binnenmarkt nur sehr minim. Von einer Benachteiligung ausserkantonaler Anbieter kann keine Rede sein. Im übrigen sieht auch der EuGH den freien Warenverkehr nicht durch Ladenöffnungszeiten beeinträchtigt (Urt. v. 24. November 1993, Rs. C-267/91 u. C-268/91 – Keck und Mithouard – Slg. 1993, S. I-6097 ff.).
Als Verfassungsgrundlage bleibt die Generalkompetenz des Bundes zum Erlass polizeilicher Vorschriften (Art. 95 Abs. 1 BV). Unter dieser Norm kann der Bund tatsächlich alle Belange der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit regeln. Theoretisch könnte der Bund also auch einheitliche Ladenöffnungszeiten direkt festsetzen. Doch soll der Bund dies auch tun? Die Ladenöffnungszeiten sind eine klassisch kommunale Domäne. Begeht der Bund also nicht eine grobe Missachtung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5a BV), wenn er den Gemeinden ihre Ladenöffnungszeiten vorschreibt, selbst nur als "Minimalstandard"? Sollen St.Gallen oder Wängi nicht selbst entscheiden, wie lange die Läden in ihrer Gemeinde offen haben sollen? Lombardi hätte aus meiner Sicht besser auf weitere Flexibilisierungen des Arbeitsgesetzes hingewirkt, namentlich auf die Möglichkeit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Einssatzzeiten für Nacht und Sonntag gemeinsam zu vereinbaren.