Jedes Jahr ergehen drei bis vier Gerichtsurteile zum Heilmittelrecht, in denen die Beschlagnahmung und Vernichtung von privat importierten Heilmitteln durch die Swissmedic und den Zoll angefochten wird. Meist handelt es sich dabei um Heilmittel zur Förderung der Erektionsfähigkeit. Die kleinen blauen Pillen sind im ausländischen Online-Versand nicht nur einiges günstiger, sondern ersparen dem Betroffenen auch den als peinlich empfundenen Gang zum Arzt.
Zugelassene Arzneimittel wie Viagra können an sich frei in die Schweiz eingeführt werden (Art. 20 HMG). Die im Ausland erwerbbaren Packungen von Viagra gelten jedoch rechtlich nicht als "zugelassen", weil sie nicht die Zulassungsnummer der Swissmedic auf der Packung haben (Nummer 54642) und die Packungsbeilage nicht in allen drei Landessprachen in der Packung ist. Das Erfordernis einer aufgedruckten Swissmedic-Nummer führt dazu, dass nicht einmal Hustenbonbons wie Fisherman's Friend aus dem Ausland importiert werden können. Fisherman's Friend gelten nämlich als Heilmittel ("Gut für Husten" = Heilmittel Kategorie E). Ein Pharmaunternehmen hat natürlich keinerlei Anreiz, die Swissmedic-Zulassungsnummer auf eine im Ausland vertriebene Packung aufzudrucken. Die Unternehmung würde so ja Parallelimporte fördern und sich selbst konkurrenzieren.
Zum Importverbot gibt es eine wichtige Ausnahme. Nicht zugelassene, verwendungsfertige Arzneimittel wie Viagra können von Privatpersonen "in kleinen Mengen" eingeführt werden (Art. 20 Abs. 2 HMG; Art. 36 Abs. 1 AMBV). Gemäss der Praxis der Bundesverwaltungsgerichts gilt der Eigenbedarf für einen Monat als kleine Menge. Massstab ist bei Erektionsmitteln wie Viagra offenbar der Verbrauch eines Bundesverwaltungsrichters (stolze 20 Tabletten). Das Argument, man bräuche pro Tag ein bis zwei Tabletten des Erektionsmittels (also 60 Tabletten im Monat!), verfängt in diesen Fällen nicht (Urteil C-227/2010 vom 20. Januar 2011). Es ist übrigens hier nicht von Bedeutung, ob das Medikament dem Patienten von einem Arzt im In- und Ausland verschrieben wurde (Urteil C-1602/2009 vom 23. Juni 2011). Folge des "übermässigen" privaten Imports ist die Vernichtung der Arzneimittel und die Auferlegung der Kosten dafür, in der Regel sind dies 300-700 Franken.
In einem Urteil vom 10. Juli 2012 (C-2163/2011) hat das Bundesverwaltungsgericht diese ordnungspolitisch fragwürdig strenge Rechtsprechung noch weiter getrieben und um einen verfahrensmässig spannenden Punkt ergänzt: Erstmals hat der Empfänger einer Postsendung mit Erektionsmitteln behauptet, diese Arzneimittel gar nicht bestellt zu haben. In der Tat enthielt das Paket ausser den Tabletten weder Bestellschein noch Rechung. Einziger Beweis für die Bestellung war die Adressierung der Sendung an den Empfänger. Gemäss Bundesverwaltungsgericht muss die Swissmedic aber weitere Untersuchungen hier gar nicht anstellen. Vielmehr müsse der Empfänger der Sendung beweisen, dass er das Viagra nicht bestellt habe, indem er etwa mit Bankauszügen darlege, bestimmte Zahlungen nicht gemacht zu haben. Auch habe der Empfänger nicht erklärt, wie der Versender denn an seine Adresse gekommen sei. Zum Verhängnis wurde dem Besteller vor allem die Tatsache, dass es sich bei ihm offenbar um einen "Widerholungstäter" handelte, der schon früher Erektionsmittel importiert hat. Es ist jedoch wenig im Entscheid davon zu spüren, dass an sich die Swissmedic die volle Beweislast in diesem Fall trägt (Untersuchungsmaxime, materielle Beweislast). Grundsätzlich muss der Bürger nicht beweisen, dass er etwas nicht gemacht hat.
Der Blick auf die Rechtsprechung zum Importverbot vermittelt aus meiner Sicht ein ungutes Gefühl. Die Massnahmen der Swissmedic an der Grenze schützen offensichtlich nicht nur das Publikum vor gefälschten Medikamenten und gefährlicher Selbstmedikation, sondern helfen auch die Vertriebswege und hohen Preise der Pharmaindustrie in der Schweiz zu bewahren.
Die Praxis zum Pharmarecht in der Schweiz findet sich zusammengefasst in dem von Dr. Stefan Kohler und mir verfassten Büchlein zum Pharmarecht (njus-Reihe, Stämpfli Verlag). Der Band für das Jahr 2012/2013 erscheint in den kommenden Tagen.