Auf das Buch "Happy Accidents: Serendipity in Major Medical Breakthroughs in the Twentieth Century" (Morton A. Meyers, 1. Aufl. 2007) bin ich zufällig gestossen. Das Buch beschreibt die Entwicklung einer Vielzahl von bahnbrechenden Innovationen in der modernen Medizin. Zu lesen, wie lebensrettende Medikamente wie Penicillin erforscht wurden, ist ein Augenöffner. Ein Jurist wird sich aber unweigerlich die Frage stellen, ob die heutige Regulierung der medizinischen Forschung solch zufällige Innovationen noch zulässt.
Dr. Morton Meyers legt überzeugend dar, dass viele medizinische Innovationen nicht nur auf sehr glücklichen Zufällen beruhen. Innovationen in der Medizin sind meist auch auf aussergewöhnliche Wissenschafter zurückzuführen, welche den Wert ihrer zufälligen Entdeckungen erkannten und gegen teilweise erhebliche Widerstände weiter untersuchten. Wahrhaft revolutionäre Innovationen sind oft aus Forschungen hervorgegangen, welche eigentlich ganz andere Ziele verfolgten. Bahnbrechende Innovationen werden oft auch von Personen gemacht, die ausserhalb der relevanten Disziplinen tätig sind und nicht durch etabliertes Wissen voreingenommen sind. Innovation funktioniert vermutlich gerade nicht so, wie es Strategie- und Aufbauspiele suggerieren: "Befehl an Forscher: Entwickle das Rad!" - Das Manhattan-Projekt zur zielgerichteten Erforschung der Atombombe scheint mehr die Ausnahme für diese generelle Regel zu bilden. Innovation verläuft in unvorhersehbaren Bahnen und ist daher kaum ex-ante zu regulieren.
Die Rechtswissenschaft beschäftigt sich erst seit kurzem mit Innovationsprozessen. Im Vordergrund stehen dabei nicht Ansätze, die Innovationen fördern wollen. Vielmehr soll das Recht zur Sicherung der "Gemeinschaftsverträglichkeit" von Innovationen eingesetzt werden. So soll verhindert werden, dass die Innovationstätigkeit Dritte oder die Umwelt schädigt. Das Recht gewährleistet beispielsweise, dass die Forschung am Menschen nicht ohne Einverständnis der teilnehmenden Personen erfolgt (Art. 118b BV; Art. 7 HFG). Dass dieses Einverständnis nicht selbstverständlich ist, zeigt auch das Buch von Dr. Morton Meyers auf; Beispiel sind Forschungen an Waisenkindern, an Armeeangehörigen, an Gefangenen oder an geisteskranken Personen.
Voraussichtlich ab 1. Januar 2014 werden Forscher im Bereich der Humanarzneimittel nicht nur die Vorschriften des Heilmittelgesetzes (Art. 53 ff. HMG) und der Verordnung über klinische Versuche mit Heilmitteln (VKlin), sondern auch des Humanforschungsgesetzes (HFG) einhalten müssen. Kernelement dieser Vorschriften sind Bewilligungspflichten, welche an umfangreiche Voraussetzungen geknüpft sind. So werden zwar die an den Versuchen teilnehmenden Personen (noch) besser geschützt. Es wird aber auch die Bürokratisierung der Forschung weiter vorangetrieben. Die Erhöhung der formalen Anforderungen an die Forschung könnte gerade jene zufälligen Innovationen behindern, welche nicht das Resultat zielgerichteter Forschung sind. Eine solche Entwicklung wäre bedauerlich. Zunehmend wird die Meinung vertreten, der Innovationszyklus sei ins Stocken geraten (dazu Economist Briefing vom 12. Januar 2013 und Leader). Vor allem im Bereich der medizinischen Forschung wird dies nicht zuletzt auf erhöhte regulatorische Anforderungen zurückgeführt (siehe etwa den Artikel von Brauchli et al. zur klinischen Forschung; weiterführend dazu auch mein letztjähriger Beitrag zur gentechnischen Forschung). Forscher dürften die stärkere Regulierung ihrer Tätigkeit als Auswuchs einer zunehmend innovationsfeindlichen Gesellschaft empfinden.