Der Ständerat hat in seiner Sitzung vom 21. März 2013 neu einen Art. 7a in das Kartellgesetz eingefügt. Der neue Artikel ist im Zusammenhang mit der Motion Birrer-Heimo zu sehen, welche die Preisunterschiede bei Markenprodukten zwischen der Schweiz und dem Ausland anprangert und bekämpfen will. Der neue Art. 7a KG ist sanktionsbewehrt, die Verletzung soll also mit einer Busse nach Art. 49a KG geahndet werden können.
Das Anliegen des Ständerates ist verständlich. Die Preisunterschiede bei Markenprodukten gegenüber dem Ausland sind teilweise grotesk und lassen sich kaum durch das allgemein höhere Preisniveau in der Schweiz erklären. Ärgerlich ist wahrscheinlich auch, dass die Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft der Schweizer Konsumenten durch ausländische Konzerne geschieht. Die aus den höheren Schweizer Preisen resultierenden Gewinne dürften also vor allem im Ausland anfallen. Das schweizerische Kartellgesetz bietet (wie die meisten Wettbewerbsgesetze im Ausland) gegen solches Verhalten keine Handhabe. Die allgemein höheren Preise beruhen nicht auf expliziten Absprachen, sondern vermutlich auf allgemein kollusivem Verhalten. Kollusives Verhalten ohne explizite Abreden ist keinem juristisch verwertbarem Beweis zugänglich und ist daher kaum auf dem Rechtsweg zu ahnden. Der Ständerat will dies nun ändern: Er verankert im Gesetz quasi eine allgemeine Lieferpflicht zu Preisen, wie sie im OECD-Raum angeboten werden.
Gleich mehrere Fragezeichen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit dieser Revision sind zu setzen:
- Das erste Fragezeichen betrifft die allgemein niedrige Wettbewerbsintensität in der Schweiz. Der Konsument ist hierzulande willig, für Markenprodukte mehr zu bezahlen, obwohl gleichwertige und wesentlich günstigere Alternativen zu diesen Markenprodukten bestehen. Wenn der Konsument nicht für Wettbewerbsdruck sorgt, dann kann dies auch der Staat nicht tun.
- Das zweite Fragezeichen ist die Praktikabilität der Revision. Mit Art. 7a KG wird wettbewerbsrechtliches Neuland betreten. Das ist nicht grundsätzlich zu beanstanden. Wer die Kartellgesetzrevision verfolgt hat, der hat jedoch mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, mit welch heisser Nadel hier gestrickt wird. Einige Merkwürdigkeiten in der neuen Gesetzessystematik sind offensichtlich (so vor allem der Verweis von Art. 7a auf Art. 5 KG für die Rechtfertigung des Verhaltens). Das Kartellgesetz betrifft nahezu jedes Unternehmen in der Schweiz. Solche Experimente wollen wohlüberlegt sein. Dies ist hier nicht der Fall.
- Das dritte Fragezeichen ist die Möglichkeit, dass die Wettbewerbskommission (Weko) durch diesen Artikel gezwungen wird, Preise von Produkten zu regulieren. Regulierte Preise sind aber nicht Ausdruck eines Wettbewerbsprozesses. Sie können ein Wettbewerbsergebnis nicht annähernd replizieren und sind daher von vorneherein nicht "richtig" zu setzen. Die Rolle der Weko, die für wettbewerblich (tiefe) Preise sorgen müsste, wird so pervertiert. Die Weko würde zum grossen Bruder des Preisüberwachers.
- Das vierte Fragezeichnen betrifft die Durchsetzbarkeit der Norm. Unternehmen ohne eigene Vertriebsstruktur in der Schweiz sind kaum durch die Wettbewerbskommission zu belangen. Diese Unternehmen werden Anfragen allenfalls einfach ignorieren. Ob die Weko dann zum "Zweihänder" greift und für die Durchsetzung von Bussen z.B. die Markenrechte dieser nichtkooperativen Unternehmen zwangsversteigern liesse, ist doch mehr als fraglich.
Insgesamt entsteht mehr und mehr der Eindruck, dass die mit Bedacht eingeleitete Kartellgesetzrevision überfrachtet ist und zum Spielball der Tagespolitik geworden ist. Der neue Art. 7a KG hat das Potenzial, grossen Schaden anzurichten, wird aber nur geringen Nutzen generieren. Will das Parlament das Problem "Hochpreisinsel Schweiz" ernsthaft angehen, so besser mit einem Abbau der internationalen Marktzutrittsschranken, einer konsequenten Einführung von Cassis de Dijon und einer Liberalisierung des internationalen Agrarhandels (dazu meinen Vortrag vom 15. November 2012).