Ein stabiles Finanzsystem benötigt eine verlässliche Einlagensicherung. Mit der Einlagensicherung erhalten die Bankkunden den versicherten Betrag auch bei einem Untergang ihres Bankinstituts auf jeden Fall zurück. Seit Beginn der Finanzkrise beläuft sich diese Versicherung auf 100'000, sei es in EUR (Banken in der EU) oder in CHF (Banken in der Schweiz). Bis zu diesem Betrag hat ein Bankkunde auch in Krisenzeiten keinen Anlass, sein Geld von der Bank in seine Matratze zu transferieren. Die Einlagensicherung verhindert, dass eine Bank nur deshalb in Schieflage gerät, weil viele Bankkunden gleichzeitig ihre Ersparnisse abheben wollen ("Bank Run").
Die Einlagensicherung funktioniert nur, wenn die Bankkunden in ihr Funktionieren absolutes Vertrauen haben. In der EU wurde dieses Vertrauen mit der Ankündigung erschüttert, dass auch die gesicherten Einlagen zur Finanzierung des zypriotischen Rettungspakets verwendet werden sollen. Selbst wenn Zypern letztendlich die Einlagen bis EUR 100'000 unangetastet lässt: Der Schaden ist mit dieser Ankündigung angerichtet. Das Vertrauen ist weg. Die Auswirkungen dieses Vertrauensverlustes auf die Sparer in anderen südeuropäischen Ländern sind noch nicht absehbar. Zwar ist formaljuristisch die Einlagensicherung gar nicht tangiert, handelt es sich doch bei der geplanten Zwangsabgabe einfach um eine neue Steuer. Dieses rechtliche Argument dürfte der Öffentlichkeit jedoch kaum zu vermitteln sein. Fakt bleibt, dass einst sicher geglaubte Einlagen nun nicht mehr sicher sind. Das Handeln des Staates erscheint zwar nicht formell, aber materiell mit seinen früheren Zusicherungen im Widerspruch. Der Staat verletzt damit elementare Grundsätze der Fairness (in der schweizerischen Verfassung den Grundsatz von Treu und Glauben, Art. 5 BV).
Die Zwangsabgabe auf den Bankeinlagen wurde schon abgezogen, bevor die gesetzlichen Grundlagen für ihre Ausgestaltung überhaupt geschaffen wurden. Juristisch nennt sich dies "Vorwirkung zukünftigen Rechts". Eine solche Vorwirkung verletzt das Prinzip der Gesetzmässigkeit staatlichen Handelns und ist daher unzulässig. Das Prinzip der Gesetzmässigkeit sichert, dass der Bürger das Handeln des Staates vorhersehen kann, dass der Bürger rechtsgleich und ohne Willkür vom Staat behandelt wird und dass das Handeln des Staates demokratisch legitimiert ist. Offensichtlich sind alle diese Funktionen hier tangiert.
Natürlich wäre die Abschöpfung der Bankeinlagen faktisch verunmöglicht worden, hätte der Staat die normalen demokratischen Verfahren eingehalten. Die Bankkunden hätten ihr Geld einfach abgehoben. Es bleibt dennoch die Frage, ob die nun erzielbaren Fiskaleinnahmen den Preis rechtfertigen: die Beeinträchtigung grundlegender Prinzipien des Rechtsstaates. Ich habe hier grosse Zweifel.
Wäre ein solches Vorgehen auch in der Schweiz denkbar? Grundsätzlich schon, denn entsprechende Kompetenzen bestehen: Der Bundesrat könnte entsprechende Massnahmen gestützt auf sein Notverordnungsrecht erlassen (Art. 185 Abs. 3 BV). Er muss erst im Nachgang versuchen, den Inhalt einer solchen Notverordnung in ein Bundesgesetz zu überführen (Art. 7d RVOG).