Es wäre "wünschenswert, würden sich Unternehmer vermehrt Gedanken über nicht nur die politischen, sondern auch die sozialen Auswirkungen ihrer Geschäfte machen", schreibt Michèle Binswanger jüngst im Tagesanzeiger. Es ist ihr Applaus für den Stopp der Crowdfunding-Kampagne der NoBillag-Initianten durch Wemakeit. Das kontroverse Statement findet auch Widerhall in den sozialen Medien, wo das Verhalten der Plattform entweder als politische Zensur oder als Ausdruck von liberaler Vertragsfreiheit angesehen wurde. Michèle Binswanger bringt jetzt noch die soziale Verantwortung ins Spiel, was doch Anlass zu einigen Überlegungen zu unserem sozialen Umgang miteinander gibt. Wir haben es vorliegend weder mit liberalem noch mit sozial verantwortlichem Handeln zu tun. Wer in Crowdfunding einen Weg zur Demokratisierung der Finanzwirtschaft gesehen hat (Robert Shiller), wird enttäuscht sein.
Es ist nicht Ausdruck von liberalem Verhalten oder Vertragsfreiheit, ein schon eingegangenes Rechtsverhältnis unter Hinweis auf CSR-Überlegungen zu beenden; dafür ist es zu spät. Der liberale Grundsatz ist "pacta sunt servanda" - Verträge sind einzuhalten. Der Staat hat nach liberaler Ansicht für die Durchsetzung von rechtmässigen Verträgen einen geeigneten, mit Zwangsmitteln ausgestatteten Rechtsrahmen zu schaffen. Ungeachtet dessen ist es ein grosses Verdienst der Marktwirtschaft, unsere Austauschverhältnisse basierend auf Leistung und Preis zu organisieren. Ich muss mich - in den Schranken des Rechts - eben nicht darum kümmern, ob der von mir verkaufte Schraubenzieher von der Käuferin zur Manipulation der Bremsen am Fahrzeug ihres Partners missbraucht wird. Ich muss meine Vertragspartner nicht unter Beachtung von Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, Sprache, soziale Stellung, Lebensform, Aussehen oder religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen auswählen - und das ist gut so.
Hier kommt nun die "Corporate Social Responsibility" hinzu, welche die weiten Handlungsspielräume im liberalen Rechtsstaat in engere Bahnen lenken soll. Schon aus Reputationseffekten ist es für moderne Unternehmen unabdingbar, bei ihrem Handeln diese erweiterte Entscheidrationalität zu beachten. Doch nur in Grenzen! Wenn verantwortliches Handeln einfach auf die Förderung dessen gerichtet ist, was dem "breiten sozialdemokratisch-liberal-grünen Konsens in Europa" (so Kollege Ulrich Schmid) entspricht, dann ist das Konzept der CSR bedeutungslos, da solche Handlungsgrenzen ohnehin mittels sozialer und rechtlicher Sanktionen durchgesetzt werden könnten. Soziale Verantwortung muss mehr sein: Sie zeigt sich vor allem dann, wenn gesellschaftliche Prozesse unterstützt werden, die nicht die Zustimmung einer Mehrheit der eigenen Klientel bzw. Filterblase finden. Mit anderen Worten: Wer sich darauf beschränkt, die Ziele einer Mehrheit von 70,7% (Umfrage gemäss Tagi) zu fördern, der handelt nicht unbedingt sozial verantwortlich, sondern in erster Linie opportunistisch.
St.Gallen, 10. November 2017