Diese Woche hat mich ein Journalist der Thurgauer Zeitung kontaktiert und über ein mutmasslich falsch durchgeführtes Beschaffungsverfahren berichtet. Eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, die zu 100% einer anderen Aktiengesellschaft gehört, die wiederum zu 100% vom Kanton gehalten wird, habe einen Lieferauftrag über eine halbe Million Franken nicht ausgeschrieben. Die unternehmerische Tätigkeit des Staates in ausgegliederten Einheiten liegt im Trend, wodurch es zunehmend schwieriger wird zu bestimmen, wer denn eigentlich Aufträge öffentlich ausschreiben muss und wer nicht. Aufgrund der vielen Presseberichte entsteht jedoch zunehmend der Eindruck, der Staat kriege die Beschaffungsverfahren einfach nicht in den Griff. Eine Gesetzesrevision auf kantonaler und eidgenössischer Ebene soll die Beschaffungsverfahren nun vereinfachen (prima vista ist allerdings nur festzustellen, dass die Erlasse umfangreicher werden). Bei der Sicherstellung der Compliance weisen die Vorschläge der Kantone und des Bundes aber erhebliche Mängel auf.
Richten sich die wirtschaftsregulierenden Erlasse an Unternehmen, dann finden sich darin heute immer auch Vorschriften zur internen Sicherstellung der Compliance sowie Bestimmungen über Verwaltungs- und Strafsanktionen (vor allem Bussen für Unternehmen und die verantwortlichen Geschäftsführer; dazu schon früher im Blog hier und hier und hier). Auch nicht fehlen dürfen regelmässige Evaluationen zur Wirksamkeit der Regulierung. Nichts davon findet sich in den Vorschlägen zum revidierten Beschaffungsrecht. Einziges Zugeständnis an die jüngsten Skandale ist die Pflicht zu einem internen Bericht über erfolgte freihändige Vergaben. Vergibt ein Verwaltungsangestellter einen öffentlichen Auftrag zu Unrecht direkt und ohne Ausschreibung, bleibt dies vielfach folgenlos, ausser er lasse sich noch dazu bestechen. Theoretisch mögliche Verurteilungen in diesem Zusammenhang wegen Amtsmissbrauch oder ungetreuer Amtsführung sind selten; die letzten bundesgerichtlichen Urteile dazu sind sehr alt.
Das Strafrecht ist in hochkomplexen Vergabeverfahren, wie bspw. die pendente Zürcher Trambeschaffung, kein geeignetes Instrument, da der Vorsatz des fehlbaren Angestellten kaum nachweisbar sein dürfte. Es gibt aber keinen Grund, nicht etwa Geldstrafen für klare Vorstösse vorzusehen: Das gänzliche Unterlassen einer an sich gebotenen Ausschreibung, die Stückelung eines Auftrags zur Umgehung der vergaberechtlichen Schwellenwerte, die Verletzung von Ausstandsvorschriften, etc. Vor allem in diesem Punkt ist erkennbar, dass die vorliegenden Vernehmlassungsentwürfe von den Personen geschrieben wurden, die das Gesetz selbst anwenden müssen.
St.Gallen, 11. Juni 2015