Wenn die Auguren richtig in ihren Hühnerknochen gelesen haben, dürfen wir am Sonntag einen "Rechtsrutsch" erwarten (so berichten z.B. NZZ und Tagi). Rein prozentual hält sich der "Rutsch" jedoch in Grenzen. Wie sich der "Rutsch" in Sitzgewinnen in den Kantonen niederschlägt, ist schwierig zu prognostizieren. Ob sich die Zusammensetzung der Regierung ändern könnte, ist für die Aussenstehenden unklar. Doch selbst wenn es einen grösseren "Rechtsrutsch" gäbe: Was darf der "Rechtswähler" davon erwarten? Grundsätzlich eben gar nichts.
Mit berechtigter Skepsis dürfen sich die Wähler erinnern, dass die tausenden von Seiten an neuer Regulierung jedes Jahr von links und rechts gemeinsam produziert wurden. "Gute Ideen", ob sie nun Wirtschaftsverbänden, Nichtregierungsorganisationen, ausländischen Staaten oder direkt den Köpfen der Parlamentarier entsprungen sind, fanden in den letzten Legislaturen leider ungehinderten Eingang in verschiedenste parlamentarische Vorstösse von unterschiedlicher Verbindlichkeit und (verwaltungsinterner) Beschäftigungswirkung.
Grosse gesellschaftliche Projekte wie die "Energiestrategie 2050" wurden diesen Herbst zwar mit knappen Mehrheiten durch die Räte gepeitscht. Entsprechend behaupten nun gewisse Parteien, schon geringe Sitzverschiebungen würden dieses auf 35 Jahre angelegte Projekt gefährden. Dabei wird aber freilich ausgeblendet, dass gerade hier der Ständerat den Subventionstopf just auf so viele Geldempfänger erweitert hat, dass die Mehrheiten auch bei einem Rechtsrutsch gesichert wären.
Von einem nach "rechts" gerutschten, neuen Parlament dürften die liberalen Wähler jedoch erwarten, dass es nicht sofort wieder in die gerade verlassenen Schützengräben steigt und mit ihren Lieblingsprojekten gegen eine geschwächte Linke "zurückschlägt". Vielmehr wäre es Aufgabe eines solchen Parlaments, sich vor der Anhandnahme neuer Projekte vertieft mit der Notwendigkeit eines kollektiven Vorgehens zu beschäftigen. Der Erfolg eines nach rechts gerutschten Parlaments misst sich also an den nicht verwirklichten Projekten. Entsprechend wären Gesetzesprojekte, im Sinne der Konkordanz und sachgerechter Lösungen, auch breiter abzustützen. Man würde sich wünschen, dass diese Suche nach Konsens nicht nur in politische Kuhhändel münden würde (siehe Altersvorsorge). Vermutlich ist es der naive Wunsch eines in politischen Spielen unbedarften Wählers, dass ein auf Konsens angelegtes System das Regulierungswachstum mildern würde, wodurch gesellschaftliche wie wirtschaftliche Freiheiten wieder etwas mehr Raum gewännen.
St.Gallen, 16. Oktober 2015