Mit der Überprüfung wirtschaftspolitischer Massnahmen tun Gerichte sich schwer; auch von der Geldpolitik haben wir Juristen uns meist ferngehalten. Über die geldpolitischen Massnahmen der EZB streitet sich nun aber eine ganze Schar hochqualifizierter Rechtswissenschafter, was nicht verheissungsvoll stimmen kann. Doch wie auch immer das Ergebnis ausfällt, betrifft es immerhin nicht mehr automatisch den Franken.
Ausgangspunkt der Querelen sind die magischen Worte von Mario Draghi im Juli 2012, wonach er alles tun werde ("whatever it takes"), um den Euro zu retten. Resultat dieses Commitments der EZB war die Ankündigung des OMT-Programms ("Outright Monetary Transactions"), das auch den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen vorsah. Diese Ankündigung führte zur Anrufung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das in der Folge an der Rechtmässigkeit des Programms zweifelte. Es legte die Frage zwar dem EuGH vor, forderte diesen jedoch ungewöhnlich deutlich auf, das Programm einzuschränken. Letzten Mittwoch nun stellte der Generalanwalt dem EuGH seine Schlussanträge, nach denen das OMT-Programm auch ohne die Einhaltung der Bedingungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts zulässig sei. Ein "High Noon" bahnt sich an, mit sicheren Kollateralschäden!
Der EZB ist eine direkte Staatsfinanzierung durch den EU-Vertrag (AEUV) verboten. Auch ist allen Akteuren bewusst, dass dieses Verbot durch den Erwerb von Schuldtiteln auf dem Sekundärmarkt leicht umgangen werden kann (Erwägung 7 der VO 3603/93). Ob wir vorliegend noch im Bereich der zulässigen Geldpolitik oder schon der unzulässigen Wirtschaftspolitik sind, ist sicher nicht einfach zu entscheiden. Ist es juristisch zu beanstanden, dass Griechenland für seine Schulden einen ähnlichen Zinssatz wie Deutschland zahlt? Wird das Verbot der Staatsfinanzierung umgangen, wenn die EZB zwar nur auf dem Sekundärmarkt tätig ist, aber jede Bank ihre auf dem Primärmarkt erworbenen Titel sofort an die EZB transferieren kann? Juristisch sind wir im Graubereich (Dunkelgrau, würde ich sagen: die katastrophalen Folgen der Staatsfinanzierung durch die Notenpresse sind seit langem bekannt und ernst zu nehmen).
Taktisch steht das "letzte Gefecht" ("the last stand") für eine Verteidigungsposition, die gegen überwältigende Kräfte gehalten wird, unter persönlicher Aufopferung für die gemeinsame Sache. Dieses Opfer macht jedoch nur Sinn, wenn sie in einem grösseren Blickwinkel zu Verbesserungen führt. Wir stellen nun aber fest, dass die Handlungen der EZB jeden Reformdruck von den Mitgliedstaaten genommen haben. Statt die Rahmenbedingungen für Wachstum zu verbessern, greift die Politik offenbar lieber zu medienwirksamen, aber wirkungslosen "Investitionspaketen". Diesen "moral hazard" kann allerdings kein Richter beseitigen, sondern nur die EZB selbst. An ihrer kommenden Sitzung vom 22. Januar 2015 hätte die EZB Gelegenheit dazu, den Reformdruck bei den Mitgliedstaaten wieder aufzubauen. Sie wird diese Chance aber verstreichen lassen. Wahrscheinlich hat die SNB gestern gut daran getan, nicht auf ein Umdenken in Frankfurt zu hoffen.
St.Gallen, 16. Januar 2015