Vorgestern hat mich der Kundenberater meiner "Hausbank" angerufen. Es war unser erster Kontakt; vermutlich war ihm etwas langweilig, denn ich bin kein spannender Kunde. Mit Fug und Recht hat der Berater jedoch festgestellt, dass ich mein Geld ineffizient anlege. Es liege fast alles auf dem Privatkonto. Ob ich nicht ein Sparkonto eröffnen wolle, hat er dann gefragt, ich bekäme dort das Fünffache an Zinsen. Die Illusion solcher relativer Vergleiche platzte dann schnell, als er mir die absoluten Zahlen nannte: 0,01% auf dem Privatkonto, 0,05% auf dem Sparkonto.
Meinen Witz, dass es auf dem Sparkonto dann nur noch 20'000 Jahre gehe, bis sich das Geld verdopple, fanden wir beide wohl nicht so lustig. In Tat und Wahrheit dauert die Verdopplung auf dem Privatkonto 6.931,82 Jahre, auf dem Sparkonto nur 1.386,64 Jahre. Ein nicht wirklich attraktives Angebot, das wir aber für einmal nicht den bösen Banken, sondern der Nationalbank zu verdanken haben. Seit nun einigen Jahren hält diese die Zinssätze bei nahe 0% und importiert über den Mindestkurs die (mittlerweile stark) expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Die Verzinsung auf meinem Bankkonto wäre mir noch egal, wenn ich nicht wüsste, dass auch meine Altersvorsorge unter den Niedrigzinsen leidet. Die Zinssätze sind seit einiger Zeit nicht mehr Indikator für die hinter der Anlage stehenden Risiken; die Gläubiger werden nicht mehr angemessen entschädigt. Das billige Geld verleitet die Schuldner zu ineffizienten Investitionen. Aktien- und Immobilienpreise steigen, ohne dass wirkliche Werte generiert würden. Dass die expansive Geldpolitik - als Anomalie - noch nicht zu Inflation geführt hat, macht fast mehr Angst als dass es beruhigt.
Wie lange soll das noch gut gehen, liebe Nationalbank? Die Verfassung verpflichtet dich, "als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik [zu führen], die dem Gesamtinteresse des Landes dient". Da du aber ein glaubwürdiges Exit-Szenario aus dem Mindestkurs nicht vorlegen kannst, ist deine Unabhängigkeit zunehmend in Frage gestellt. Ob deine Geldpolitik im Gesamtinteresse liegt, werden erst Historiker definitiv beurteilen können; Bedenken diesbezüglich sind jedoch mehr und mehr angebracht.
St.Gallen, 3. Oktober 2014