Am 26. September 2014 haben die eidgenössischen Räte ohne grosses Aufheben eine Revision des Beschaffungsrechts vorgenommen. Diese ermöglicht, bei der Erteilung von Aufträgen der öffentlichen Hand verstärkt Anbieter zu berücksichtigen, die sich in der Ausbildung von Lernenden engagieren. Auch verschiedene Kantone lassen die Lernenden als Zuschlagskriterium zu (siehe nun die vorgeschlagene neue interkantonale Vereinbarung, Art. 31 Abs. 2 IVoeB). "Eine gute Sache", wird man intuitiv denken. Wer kann schon etwas gegen die Förderung der Lehrlingsausbildung haben? Dennoch ist leider zu vermuten, dass die Aufladung des Beschaffungsrechts mit solchen wirtschafts- und sozialpolitischen Zielen vor allem unerwünschte Nebenwirkungen als echte positive Wirkungen zeigt.
Klar vergleichbar ist bei verschiedenen Offerten lediglich der Preis. Schon die Bewertung der Qualität eines komplexen Produkts ist schwierig, aber immerhin beherrschbar. Einen Quantensprung im erforderlichen Know-How macht die Beschaffungsstelle beim Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien; das Gemeinwesen kann hier natürlich Flagge zeigen - Vorbildfunktion wahrnehmen, z.B. wenn es seine Kantinen mit Kaffee aus fairem Handel bestückt oder seine Elektrizität aus erneuerbaren Energien bezieht. Schon hier zeigen sich jedoch Grenzen: Das Label "umweltfreundlich" kann auch für den Schutz der lokalen Anbieter missbraucht werden, wenn z.B. der lange Anfahrtsweg des Bauingenieurs zu einem Malus in der Bewertung führt.
Wer mit dem Beschaffungsrecht zusätzlich auch noch die Ausbildung von Lernenden stärken, Frauen- und Minderheitenförderung betreiben, Gesamtarbeitsverträge durchsetzen und verschiedenste Zertifizierungen und Labels verlangen will, der schafft jedoch für die Beschaffungsstelle ein Ziel-Kaleidoskop, das Missbräuchen Tür und Tor öffnet. Die Höher- und Minder-Bewertung des einen oder anderen Kriteriums erlaubt dann die präzise Steuerung des Zuschlagsentscheids an den präferierten Anbieter (den "Hoflieferanten"). Der Blick auf die vorrangige und ursprüngliche Funktion des Beschaffungsrechts, nämlich ein Zuschlag unter fairen Wettbewerbsbedingungen an das wirtschaftlich günstigste Angebot, geht verloren. Die verschiedenen Skandale und Skandälchen in jüngster Zeit haben deutlich gemacht, dass dieser Blick auf die zentralen Funktionen des Beschaffungsrechts nicht zu sehr verstellt werden sollte. Ein komplexes Beschaffungsrecht muss durch korrespondierende institutionelle Strukturen gestützt werden, die in der Verwaltung heute nur teilweise vorhanden sind.
St.Gallen, 17. Oktober 2014
Leseempfehlung: Für news zum Beschaffungsrecht die Webpage von Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner hier.