Stellen Sie sich vor: Sie gehen zum Bankomaten und stellen fest, dass Ihre Karte nicht funktioniert. Keine Ihrer Karten. Die Bank – alle Ihrer Banken – haben Ihre Konten eingefroren. Grund für diese Sperre ist, wie Sie erfahren dürfen, eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Dieser hat Sie auf eine Sanktionsliste gesetzt. Er hat dies getan, ohne Sie anzuhören, ohne Ihnen diesen Umstand mitzuteilen. Sie sind nun offiziell eine Bedrohung "des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit", "Staatsfeind Nummer 1" sozusagen. Im Gegensatz zu Will Smith und Gene Hackman werden Sie jedoch nicht gejagt; sie bleiben unbehelligt. Mit der Zeit geht Ihnen jedoch das Bargeld aus, Ihre Freunde leihen Ihnen nichts mehr, Sie können Ihre Schulden nicht mehr zahlen, verlieren Ihre Wohnung und schliesslich Ihre Existenz.
Sie wenden sich – im Vertrauen auf einen funktionierenden Rechtsstaat – an die schweizerischen Behörden und schliesslich an das Bundesgericht. Das Höchstgericht weist Ihre Beschwerde ab (BGer 2A.783/2006 und 2A.785/2006). Das Bundesgericht dürfe nur prüfen, ob Sie tatsächlich der Mensch auf der Liste sind. Das sind Sie. Weiter geht die Prüfung nicht. Der Sicherheitsrat nimmt an diesem Verfahren nicht teil. Niemand bemüht sich, Ihre Schuld zu beweisen. Sie selbst bekommen auch nicht Gelegenheit, Ihre Unschuld zu beweisen. So präsentiert sich der Sachverhalt im Verfahren 5809/08 vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die Art und Weise, wie Namen auf die Sanktionslisten des Sicherheitsrates gesetzt und wieder gestrichen werden, entspricht den rechtsstaatlichen Garantien in keiner Weise (Verfahrensgarantien nach Art. 6 EMRK und Art. 29-32 BV). Auch ohne faires Verfahren müssen aber Massnahmen des UN-Sicherheitsrates von den Mitgliedstaaten zwingend befolgt werden (Art. 25 UNO-Charta). Dass sich der hierzulande vielgescholtene Gerichtshof für Menschenrechte dennoch entschieden hat, die Verfahrensgarantien zu schützen und die Schweiz zu verurteilen, verdient daher grosse Beachtung. In diesem Zusammenhang darf durchaus auch daran erinnert werden, dass der Gerichtshof wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Verfahren in der Schweiz rechtsstaatlicher geworden sind.
Allzu sehr auf die Schulter klopfen sollte sich der Gerichtshof dennoch nicht. Die hier Betroffenen sind am 26. April und 12. Mai 2004 auf die Sanktionsliste gesetzt worden. Gemäss den Behauptungen der Beschwerdeführer sind ihre Vermögenswerte schon seit dem 7. August 1990 eingefroren. Die erste formelle Entscheidung in dieser Sache erging am 22. Mai 2006. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid am 23. Januar 2008. Der Menschenrechtsgerichtshof erhielt die Beschwerde schon am 1. Februar 2008, fällte seinen Entscheid jedoch erst vor drei Tagen, am 26. November 2013. Dies, obwohl der Sache eine hohe Priorität zugemessen wurde. Effektiver Menschenrechtsschutz passiert schneller.