Vor kurzem haben wir in der Vorlesung die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für staatliche Unternehmen behandelt. In diesem Zusammenhang hat mich ein Student darauf aufmerksam gemacht, dass ein staatliches Unternehmen auch dazu eingesetzt werden könnte, andere private Marktteilnehmer zu disziplinieren. Konkret hat er auf die Idee eines HSGlers hingewiesen, dass der Kanton Baselland eine kantonale Krankenkasse gründen könnte, die Gegendruck auf den Prämienanstieg ausüben würde (Die BaZ hat darüber berichtet).
Man kann sich heute darüber streiten, ob die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Einstieg des Kantons in den Krankenversicherungsmarkt gegeben sind (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit nach Art. 5 BV). Das Bundesgericht hat kürzlich im Fall Glarnersach diese Voraussetzungen derart gelockert, dass der unternehmerischen Tätigkeit durch den Staat rechtlich kaum noch Grenzen gesetzt sind (siehe dazu zB meine Urteilsbesprechung).
Die Idee, dass staatliche Unternehmen als "Vorbild" für andere private Unternehmen im Markt dienen können, ist nicht neu (es ist eine Art "Yardstick-Competition"). So habe ich für den Postmarkt schon die Meinung vertreten, dass ein staatliches Unternehmen im Markt als ERSATZ für eine Postmarktregulierung dienen könnte (siehe hier in Deutsch und Englisch). Für den Bereich der Krankenversicherung gibt es dagegen keinerlei Hinweis, dass eine kantonale Krankenkasse positive Effekte auf den Prämienanstieg haben könnte. Dies aus folgenden Gründen:
- Die Krankenversicherung ist bereits ein komplex reguliertes System. Eine kantonale Krankenkasse würde keine neuen unternehmerischen Spielräume für die privaten Krankenkassen schaffen, sondern zusätzliche Komplexität in dieses System bringen.
- Der Kanton hat schon vielfältige Spielräume zur Beeinflussung der Krankenkassenprämien. Der Kanton ist Eigentümer der meisten Spitäler und agiert gleichzeitig als Preisregulator (zB Art. 47 KVG). Es ist prima vista nicht ersichtlich, wieso sich der Kanton als zusätzlicher Eigentümer einer Krankenkasse nun plötzlich anders verhalten würde.
- Setzt die kantonale Krankenkasse ihre Prämien nach politischen Gesichtspunkten fest, so verliert sie an Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Setzt sie ihre Prämien nach unternehmerischen Gesichtspunkten fest, so verhält sie sich gleich wie die Privaten und verliert ihre Rechtfertigung.
- Soll die kantonale Krankenkasse tatsächlich Prämiendruck ausüben, müsste sie über Marktmacht verfügen. Dies kann sie aber nur erreichen, wenn ihr der Kanton in unzulässiger Weise Wettbewerbsvorteile einräumt. So sind ein "Wissenstransfer aus der Gesundheitsdirektion" angedacht und eine zinsgünstige "Finanzierung vom Staat". Ersteres ist ein unauflösbarer Interessenkonflikt. Letzteres ist nichts anderes als eine Quersubventionierung von Risiken durch den kantonalen Steuerzahler.
Zusammenfassend: Es wäre angebracht, wenn sich die Gesetzgeber (im Bund und in den Kantonen) dazu hinreissen könnten, die bestehende Regulierung und die bestehenden Instrumente zum Tragen zu bringen statt weitere ungewisse Regulierungsexperimente und Einbrüche in die privatwirtschaftliche Ordnung zu erwägen. Ein regulatorischer Handlungsbedarf im Bereich der Krankenversicherung ist durchaus ausgewiesen.