Nach der Ablehnung der Volksinitiative "AHV plus" geht der Nationalrat mit bürgerlichem Rückenwind in die Beratung des Geschäfts "Altersvorsorge 2020". Angesichts des kurzen Zeithorizonts bis 2020 traut man sich, anders als bei der Energiestrategie 2050, den grossen Wurf offenbar nicht zu. Einigkeit besteht in linken wie rechten Kreisen lediglich über die Notwendigkeit einer Reform. Die wichtigen materiellen Fragen sind umstritten und die Vorlage könnte auch gut scheitern. Es ist so erstaunlich wie beschämend, dass das Parlament nicht in der Lage scheint, die Altersvorsorge auf eine langfristig tragfähige Basis zu stellen; unsere Parlamentarier befassen sich lieber mit Kleidervorschriften.
Zur Auflösung der Pattsituation diskutiert das Parlament mittlerweile auch eine automatisch greifende Stabilisierungsregel: "Gelingt die Sanierung auf dem politischen Weg nicht, soll eine automatische Stabilisierungsregel wirksam werden, um die Fähigkeit der AHV aufrechtzuerhalten, volle Renten auszuzahlen." Diese würde bei einer finanziellen Gefährdung des AHV-Fonds das Referenzalter und die Mehrwertsteuer parallel anheben. Das Primat der Politik sei mit der Regel nach wie vor gegeben, "und der Automatismus sollte nie ausgelöst werden". Momentan sieht es aber eher danach aus, dass das Parlament entweder eine langfristig nicht tragfähige oder dann aber eine nicht mehrheitsfähige Vorlage verabschieden wird.
Angesichts dieser Ausgangslage sollte das Parlament vielleicht darüber nachdenken, das "Primat der Politik" ganz fallenzulassen. Bei der Altersvorsorge handelt es sich in vielen Bereichen um eine technische, versicherungsmathematische Materie (Rentenalter sowie, bei den Pensionskassen, der Umwandlungssatz und der technische Zinssatz). Vielleicht sollte diese Materie ohnehin nicht verpolitisiert werden, zumal in der beruflichen Vorsorge private und nicht staatliche Vermögen betroffen sind? Schliesslich legen wir ja auch die Geldpolitik in die Hände von Experten, d.h. einer unabhängigen Zentralbank. Wieso sollten also nicht auch, bei nüchterner Betrachtung der politischen Tatenlosigkeit, die Rahmenbedingungen der Altersvorsorge von Experten festgelegt werden?
St.Gallen, 30. September 2016