Nach der Brexit-Abstimmung wurde schnell geltend gemacht, die Jugend, welche für den Verbleib in der EU gestimmt habe, würde um ihre Zukunft betrogen. Die Diskussion führte auch zu einem interessanten Vorschlag von Regierungsrätin Jacqueline Fehr: Demgemäss würde das Gewicht der Stimmen der Jungen verdoppelt, da die Jungen auch die Resultate der Urnenentscheide (er-)tragen müssten. Der Vorschlag bedarf einer - wohl chancenlosen - Änderung von Art. 136 Abs. 1 BV, ist aber auch aus anderen Gründen abzulehnen.
Ich persönlich halte wenig davon, die (eher apolitischen) Millennials in ihrer Abstimmungsträgheit noch damit zu belohnen, dass sie gegenüber anderen Altersgruppen mehr Stimmgewicht erhalten. Wer am 23. Juni in Grossbritannien nicht abstimmen ging, dem war die Frage des Verbleibs in der Europäischen Union wohl egal. Es gäbe jedoch einen anderen Weg, den "Digital Natives" in demokratischen Abstimmungen mehr entgegen zu kommen. Beispielsweise könnte man durch eine Anpassung des Auszählungsvorgangs das Problem von knappen Zufallsmehrheiten angehen, welches in der Schweiz auch häufig vorkommt.
Die persönliche Stimmabgabe an der Urne (Art. 5 Abs. 3 BG über die politischen Rechte) ist ein Relikt aus dem analogen Zeitalter und diente in dieser Zeit der ordnungsgemässen Organisation der Wahlen und Abstimmungen. Durch die vorzeitige und briefliche Stimmabgabe (Art. 7 f. BPR) ist das Abstimmungsprozedere schon länger nicht mehr auf einen Tag fokussiert, sondern wurde zu einem längeren Prozess umgeformt. Ausgezählt werden die Stimmen aber erst nach der Schliessung der Urnen, wodurch in einer analogen Welt das Abstimmungsgeheimnis bestmöglich gewahrt werden kann.
In einer digitalen Welt gibt es für dieses Vorgehen wenig Gründe. Mit der heute grundsätzlich möglichen elektronischen Stimmabgabe (Art. 8a BPR) könnten die abgegebenen Stimmen öffentlich aggregiert werden, ohne dass das Abstimmungsgeheimnis tangiert ist. Dies würde der trägen Masse der Abstimmungsabstinenten ein Signal geben, dass sie sich in umstrittenen Sachvorlagen vielleicht doch noch an die (elektronische) Urne bewegen sollten. Weitergehend könnte man auch den "taktisch" Abstimmenden bis zur Schliessung der (elektronischen) Urnen Gelegenheit geben, ihre Stimme nochmals zu ändern. Die Wahlbeteiligung in umstrittenen Vorlagen und die Legitimität des Abstimmungsresultats würden dadurch steigen; die Resultate könnten nicht mehr leichthin als "Zufallsmehr" abgetan werden.
St.Gallen, 1. Juli 2016