Der Bundesrat hat sich letzte Woche entschlossen, Lebensmittel vom "Cassis-de-Dijon-Prinzip" nicht auszunehmen. Dafür verdient er Lob und Schelte zugleich. Hoch anzurechnen ist dem Bundesrat, dass er dem kaum verdeckten Protektionismus zugunsten einheimischer Hersteller paroli bietet. Enttäuschend ist aber, dass der Bundesrat diesem Protektionismus nicht weitere Riegel schiebt und entsprechend das "Cassis-de-Dijon-Prinzip" konsequent umsetzt.
"Cassis-de-Dijon" bedeutet, dass ich europäische Produkte auch in der Schweiz uneingeschränkt vermarkten kann. Davon profitiert zunächst einmal der Konsument, weil er nun wesentlich günstigere und vielfältigere Produkte einkaufen kann. Davon profitiert auch der Detailhandel, der seine Kundschaft nicht ins grenznahe Ausland abwandern sehen muss. Leiden müssen freilich einheimische Lebensmittelbetriebe, und zwar in erster Linie diejenigen, die ihren höheren Preis nicht mit höherer Qualität rechtfertigen können.
Der Gesetzgeber hat Cassis-de-Dijon im Bereich der Lebensmittel nie konsequent umgesetzt. Europäische Lebensmittel müssen vor der Vermarktung in der Schweiz bewilligt werden. Das schwächt den Wettbewerbsdruck und bedeutet, dass ein Lebensmittelbetrieb für zu hohe Preise oder zu tiefe Qualität nicht mehr bestraft wird. Für die Konsumenten ist das natürlich schlecht.
Kein Parlamentarier würde das so wie ich formulieren. Jacques Bourgeois (FDP, Fribourg) begründet seinen Wunsch nach Abschaffung der semifreien Zirkulation von Lebensmitteln natürlich mit Konsumenteninteressen. Auch die WAK-N sieht das so: Die Konsumenten würden getäuscht, da qualitativ minderwertige Lebensmittel über die gleiche Sachbezeichnung wie Schweizer Produkte (z.B. "Käse") in Verkehr gebracht werden dürften.
Diese Konsumenteninteressen sind vorgeschoben. Der Konsument kann durchaus zwischen "Vacherin Fribourgeois" und einem "Blue Stilton" unterscheiden. Was Konsumenten bevorzugen, ist Geschmackssache. Auch wenn natürlich nichts über eine St.Galler Kinderfestbratwurst (ohne Senf) geht, so ist doch bis anhin noch kein Schweizer an einer Berliner Currywurst gestorben. Wer den Konsumenten ernst nimmt, der behindert seinen Einkauf nicht mit überschiessenden regulatorischen Vorschriften, sondern überlässt ihm die freie Wahl.
St.Gallen, 30. Januar 2015