Kurz nach der Ankündigung der SVP-Volksinitiative "zur Umsetzung von Volksentscheiden – Schweizer Recht geht fremdem Recht vor" folgte der zu erwartende Sturm der Entrüstung. In den Medien sind Titel zu lesen wie "Abschied von den Menschenrechten", "'An der Realität vorbei', 'totalitär', 'Rückschritt': Blocher-Initiative unter Beschuss", "Wir würden etwas aufgeben, das uns nützt", und "Die SVP ist bereit, die Menschenrechte zu opfern". Das Skript ist mittlerweile eingespielt. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, das gegenseitige Vorgehen sei abgesprochen. Es dient den radikaleren Kräften links und rechts offenbar nur zur Versorgung ihrer Gefolgschaft mit immer neuen Reizen. 2015 ist schliesslich Wahljahr.
Das Misstrauen der Initianten von Volksinitiativen gegenüber dem Parlament ist teilweise berechtigt; auch die Probleme bei der "getreuen" Umsetzung von Volksinitiativen wurden in diesem Blog schon thematisiert. Die vorliegende Initiative enthält aber keinerlei Vorschläge, wie diese Probleme auf eine innovative Weise behoben werden könnten. Wie wäre es denn, wenn die Initianten einen ersten Umsetzungsvorschlag ins Parlament einbringen dürften? Oder wenn ihnen ein Antragsrecht im Parlament zukäme? Wieso schaffen die Initianten keine allgemeine Bestimmung, welche strenge Behandlungs- und Umsetzungsfristen vorsieht mit einer subsidiären Rechtsetzungskompetenz des Bundesrates? Die Antwort mag daran liegen, dass man an einer effektiven Lösung gar nicht interessiert ist. Man reibt sich lieber immer wieder - mit medialer Unterstützung - an denselben alten Problemen.
Gut versteckt, aber doch unübersehbar geht es den Initianten um die Eindämmung der Wirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (siehe das Positionspapier). Das Thema Völkerrecht-Landesrecht ist allgemeines Juristenfutter und wird es auch künftig bleiben: Die Initiative wird - wie jeder Gesetzestext - im praktischen Fall keine konkrete Anweisung enthalten und sich als auslegungsbedürftig erweisen. Wieso verlangen die Initianten nicht die Volkswahl des Schweizer Richters am Menschenrechtsgerichtshof oder direkt die Kündigung der Menschenrechtskonvention? Eine Volksabstimmung über die EMRK würde die Debatte vielleicht entkrampfen. Fast alles wäre besser als eine neue unklare Verfassungsbestimmung, die lediglich der Problembewirtschaftung im Wahljahr dient. Es ist ja offensichtlich, dass sich die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshof vom eigentlichen Wortlaut der EMRK einiges entfernt hat (siehe das Interview mit Bundesrichter Seiler). Diese dynamische Weiterentwicklung der EMRK kann und soll durchaus infrage gestellt werden. Da sich die Tagespresse aber vor allem damit befasst, dass der Menschenrechtsgerichtshof die Ausschaffung krimineller Ausländer verhindert, finden die positiven Wirkungen der EGMR-Rechtsprechung auf den Schweizer Rechtsstaat kaum Beachtung. Eine allgemeine Debatte beinhaltet hier auch Chancen, die genutzt werden sollten.