Energiestrategie und Wettbewerb
Gastkommentar von Peter Hettich
Die Energiestrategie sei «ein Murks», schreibt Helmut Stalder (NZZ 21. 1. 17), und dennoch sei sie «ein Schritt in die richtige Richtung». Die liberale Perspektive auf das Potpourri von energiepolitischen Massnahmen ist sichtlich schwer zu finden. Eine – frei nach alt Bundesrat Kaspar Villiger – konzeptionell ausgerichtete Denkweise mag helfen, das komplexe Geschäft besser einzuordnen: Hat die Vorlage klar definierte, priorisierte und ordnungspolitisch vernünftige Ziele, die konsistent sind mit den eingesetzten Instrumenten?
Helmut Stalder beantwortet diese Grundfrage abschlägig, und dies mit guten Gründen: Bis anhin bewältigte die Schweiz das «Energie-Trilemma» aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit vorbildlich. Staatliche Eingriffe in das auch verfassungsrechtlich vorgegebene Zieldreieck müssen daher vorsichtig erfolgen. Die begrenzte Steuerungskraft des Regulierungsrechts gebietet ohnehin Demut im Gestaltungsanspruch. Da nur der Klimaschutz den forcierten Zubau der neuen erneuerbaren Energie ökonomisch rechtfertigen kann, ist das Verbesserungspotenzial nach oben begrenzt: Die Schweizer Elektrizitätsproduktion ist nahezu CO2-frei.
Trotzdem hat sich der Gesetzgeber kaum bemüht, in einem «Swiss Finish» noch vorhandene Zielkonflikte aufzulösen und Inkonsistenzen beim Instrumenteneinsatz zu beseitigen: Bau von Gaskombikraftwerken angesichts ambitionierter Klimaschutzziele; Senkung des Elektrizitätsverbrauchs trotz mehr Elektromobilität; Ausbau der Elektrizitätserzeugung trotz Stromschwemme und anhaltend tiefen Preisen; Belastung der Wasserkraft mit Wasserzinsen und gleichzeitige Subventionierung mit einer Marktprämie; schwammige Regeln zu neuen Erzeugungsanlagen in Landschaftsschutzgebieten, aber nicht in Mooren (Grimsel-Staumauer); beachtliche Zubauziele, für die zu wenig Finanzmittel bereitgestellt werden.
Immerhin, und darin sieht Helmut Stalder das Positive, hat das Parlament ein «Ablaufdatum gesetzt». Das neue Gesetz, so der Eindruck, führe in einen subventionsfreien Endzustand, in welchem der Wettbewerb und nicht die Politik den Elektrizitätsmarkt gestalte. Die «ordnungspolitische Sünde» wäre danach also ein vorübergehender Katalysator für einen ohnehin laufenden Transformationsprozess.
Vergessen geht, dass Ablauf und Ergebnis dieses Prozesses heute unbekannt sind. Auch die Ausgangslage ist nicht günstig: Zum für die Energiestrategie wichtigen Stromabkommen wird es so bald nicht kommen: «Es herrscht Eiszeit mit der EU», rief der Elcom-Präsident Carlo Schmid-Sutter jüngst am Stromkongress. Deutlich zeigt auch das BfE in seiner «Auslegeordnung Strommarkt nach 2020», dass die Energiestrategie Fragen der Versorgungssicherheit (Speicher, Eigenversorgung usw.) vernachlässigt hat. Keine Perspektive liefert das revidierte Gesetz auch für die Gestaltung einer zukünftig integrierten Energieversorgung (Smart Grid, konvergente Strom-, Gas- und Wärmenetze usw.).
Das Verfalldatum der Energiestrategie ist also eher im Jahr 2020 anzusiedeln. Im Zuge der schon laufenden Revisionen des Stromversorgungsgesetzes und des Wasserrechtsgesetzes wird das neue Energiegesetz tiefgreifende Änderungen erfahren. Keine dieser Änderungen führt zu einem stärker wettbewerbsorientierten Elektrizitätsmarkt.
Da das Subventionsregime in der Abstimmung vom 21. Mai gar nicht zur Disposition steht, gibt der Stimmbürger nur die Stossrichtung für den «Strommarkt nach 2020» vor: Ein Ja steht dann für eine fortgesetzte, mit den ambitionierten Zielen des Energiegesetzes konsistente Subventionierung der neuen erneuerbaren Energieerzeuger.
Dagegen sind die Motivationen für ein Nein vielfältig und die Konsequenzen daraus unklar; die Energiepolitik würde wohl, so meine Vermutung, entlang sicherheits- und versorgungspolitischer Linien neu ausgerichtet.