Der Bundesrat hat am 24. Juni die Volksinitiative des Bauernverbands "Für Ernährungssicherheit" ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen. Politisch ist dieses Vorgehen gewagt, denn der Bauernverband hat für die Initiative in Rekordzeit 147'812 gültige Unterschriften eingereicht. Eine beeindruckende Leistung. Rechtlich ist dem Bundesrat jedoch vollumfänglich zuzustimmen. Wer den vom Bauernverband vorgeschlagenen Art. 104a vom heutigen Art. 104 BV substrahiert, der erkennt: Alle Inhalte mit Bezug zur Ernährungssicherheit finden sich schon im heutigen Verfassungsrecht, nur die Protektion der einheimischen Landwirtschaft ist neu. Der Bauernverband hat vor allem die eigenen Interessen im Auge.
So ist mit der von den Initianten angestrebte Stärkung der Versorgung mit Lebensmitteln aus einheimischer Produktion indirekt die Versorgungsfunktion der Landwirtschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. a BV) angesprochen. Eine indirekt gestärkte einheimische Produktion steht im Einklang mit dem Ziel der dezentralen Besiedlung gemäss Art. 104 Abs. 1 lit. c BV. Der Grundsatz der nachhaltigen Produktion findet sich sowohl in Art. 104 Abs. 1 BV als auch in Art. 73 BV. Massnahmen gegen den Verlust von Kulturland (einschliesslich der Sömmerungsfläche) sind ein Auftrag der Raumplanung (Art. 75 BV). Dabei ist heute freilich auf viele Ausnahmen hinzuweisen, die den Kulturlandschutz schwächen, aber meist vor allem zugunsten der Landwirtschaft geschaffen wurden. Mit der "Rechtssicherheit" und "Investitionssicherheit" greifen die Initianten rechtsstaatliche Ziele auf, die sich im geltenden Verfassungstext vor allem in Art. 5 BV finden. Es ist nicht einzusehen, wieso ausgerechnet die hochsubventionierte Landwirtschaft mehr als andere Unternehmer vor Bürokratie geschützt werden müsste.
Was als neues Element bleibt, ist die Stärkung der einheimischen Produktion. Die jüngste Diskussion um die Abschaffung des Cassis de Dijon-Prinzips in den Räten (Blog hier und hier) zeigt, was damit gemeint ist: Abschottung des schweizerischen Markts, höhere Preise für Konsumenten und höhere Subventionen für die Bauern. Unter "Ernährungssicherheit" stelle ich mir anderes vor.
St.Gallen, 3. Juli 2015
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem ausführlicheren Kurzgutachten im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft BLW: "Rechtlicher Vergleich der SBV-Initiative mit bestehenden Verfassungsbestimmungen".