Fine-Tuning der Wirtschaft

By Usien (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

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"Feinsteuerung der Wirtschaft" ist das Thema meines heutigen Vortrags bei HSG Law Alumni in Zürich. Wir haben das Thema "aus dem Bauch heraus" vereinbart; juristisch ist es nur schwer zu fassen. Feinsteuerung ist ein ökonomischer Begriff, der im Zusammenhang mit der Globalsteuerung verwendet wird: Feinsteuerung bezeichnet dort eine wirtschaftspolitische Strategie, die versucht, auch schon auf sehr kleine Störungen zu reagieren und diese zu glätten. Im Zusammenhang mit Regulierung wird der Begriff kaum verwendet. Immerhin: Bei Erlass des Kartellgesetzes hat der Bundesrat darauf hingewiesen, dass die Komplexität von Marktbeziehungen nahe legt, "auf ein wettbewerbspolitisches 'fine-tuning' zu verzichten" (Botschaft KG, 513). Und im Zusammenhang mit dem CO2-Gesetz hat er ausgeführt, dass die Gefahr einer ineffizienten Feinsteuerung durch den Staat "ordnungspolitisch nicht vertretbar sei" (Botschaft CO2-G 1997, 417).

Die insbesondere von der systemtheoretischen Wettbewerbsschule betonte Komplexität von Marktbeziehungen legt es zudem nahe, auf ein wettbewerbspolitisches “fine-tuning” zu verzichten. Das Konzept des wirksamen Wettbewerbs im hier verstandenen Sinn impliziert denn auch den weitgehenden Verzicht auf eine instrumentalistisch ausgerichtete Wettbewerbspolitik; es konzentriert sich stattdessen auf die Sicherung der allokativen und dynamischen Effizienz der Märkte. Eine entsprechend ausgerichtete Wettbewerbspolitik ist der beste Garant für einen sparsamen Umgang mit volkswirtschaftlichen Ressourcen und dient damit letztlich
wohl auch dem Gesamtinteresse am besten.
— Bundesrat, Botschaft KG, 1994

Problemlos lassen sich jedoch eine Vielzahl von jüngeren Gesetzgebungsprojekten, Aufsichtsverfahren und Gerichtsentscheide finden, die von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Wettbewerbsprozessen geprägt sind. Dabei handelt es sich in all diesen Fällen um komplexe, dynamische Abläufe, bei denen bessere Resultate durch zentrale staatliche Koordinationsversuche kaum zu erwarten sind. Von diesen Steuerungsversuchen sei nur einer herausgegriffen, der als besonders grotesk erscheint:

Am 21. Dezember 2007 hat der Bundesgesetzgeber das Krankenversicherungsgesetz geändert, um die Finanzierung der Spitäler neu zu ordnen. Ziel war der Wechsel von einer pauschalen Finanzierung der Spitäler zu einer Finanzierung der erbrachten Leistungen. Damit sollte der Wettbewerbsgedanke zwischen den Spitälern verstärken werden. Der Kanton Tessin hat diese Änderung umgesetzt und seine kantonale Gesetzgebung angepasst. Er sieht die Festlegung einer maximalen Leistungsmenge für jedes Spital vor. Basierend auf dieser maximalen Leistungsmenge spricht der Kanton zur Finanzierung der Leistungen jedem Spital einen Globalbeitrag zu. Jenseits der festgelegten Höchstmenge werden Leistungen nur zu 20% vergütet. Diese Zusatzleistungen sind damit wirtschaftlich völlig unattraktiv. Das Spital hat 0 Anreize, mehr zu tun, als der Kanton festlegt. Mit anderen Worten hat der Kanton Tessin die zarten wettberwerblichen Elemente des KVG mit einer staatlichen Mengenplanung umgesetzt, die jeden Wettbewerb unter seinen Spitälern verhindert. Die Absicht des Bundesgesetzgebers wird so vereitelt. Das Bundesgericht hat dies dennoch geschützt, obwohl es die Wirksamkeit der Mengenbeschränkung als "mehr als zweifelhaft" ansah.

Die Zurückhaltung des Höchstgerichts bei der Beurteilung von Wirtschaftsregulierung entspricht durchaus einem Trend (siehe nur jüngst den Entscheid "Glarnersach"). Man würde sich wünschen, dass das Bundesgericht die wirtschaftlichen Freiheitsrechte mit derselben Vehemenz verteidigt wie die ideellen Grundrechte.

Sicherheit im Strassenverkehr

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Die Rückkehr aus den Ferien in die Schweiz erfüllt den Reisenden nicht nur mit einem Gefühl der Vertrautheit, sondern auch der Sicherheit und Geborgenheit. Wer hat im Ausland nicht schon die Hand fest an die Haltegriffe im Auto gekrallt, leise fluchend, dass der Sicherheitsgurt nicht einrasten will oder gar nicht vorhanden ist? Eine beruhigende Feststellung  kann dann sein, wenn der eigene Fahrer - wie im Bild - selbst auch nicht angegurtet ist und sich freiwillig denselben Unfallgefahren aussetzt. Geradezu grotesk ist es für den reisenden Schweizer, wenn der Gurt jeweils nur an Checkpoints der Polizei verwendet, allenfalls nur auf den Schoss gelegt und spätestens 50 m nach der Polizeikontrolle wieder abgezogen wird. Insgesamt scheinen weder der fremde Staat noch die dort Eingeborenen dem Schutz des Lebens grosses Gewicht zuzumessen.

In der Schweiz ist die damals heftig geführte Diskussion um die Zulässigkeit einer Tragepflicht für Sicherheitsgurte längst vergessen (siehe nur Europäische Kommission für Menschenrechte 8707/79 vom 13. Dezember 1979, DR 18, 255, in: EuGRZ 1980, 170). Der Staat sorgt heute für Sicherheit auf ganz anderem Niveau. Die Zahl der Verkehrsunfälle ist mittlerweile wieder auf das Niveau der 1950er-Jahre gesunken. Die Zahl der immatrikulierten Fahrzeuge hat sich aber in den letzten 60 Jahren vervielfacht. Die Sicherheit dürfte sich also um ganze Grössenordnungen verbessert haben.  Der Clou ist, dass Sicherheit auch weiterhin in fast grenzenlosem Ausmass produziert werden kann, weil sich Risiken nicht auf Null senken lassen. Entsprechend soll die Sicherheit im Strassenverkehr weiter gesteigert werden. Man darf also gespannt sein, wann die Pflicht zur Verwendung einer "geeigneten Kinderrückhaltevorrichtung" (gemeint ist ein Kindersitz, siehe Art. 3a VRV) von Kindern unter 12 Jahren auf Kinder unter 14 Jahren ausgedehnt wird.

Was in anderen Ländern an Sicherheit fehlt, wird bei uns mitunter in zu grossem Ausmass produziert. Das Recht setzt den Sicherheitsvorkehrungen des Staates kaum eine Grenze. Die übermässigen Investitionen in Sicherheit rauben Ressourcen, die eigentlich bessere Verwendung finden könnten. Die teilweise irrationale Konzentration der Medien, der Öffentlichkeit und der Politik auf bestimmte Einzelrisiken verstellt den Blick auf eigentliche Schwachstellen und verwehrt uns einen vernünftigen (regulatorischen) Umgang mit Risiken

Heute liest man von Kindern, die von ihren Eltern auf dem Spielplatz mit Velohelmen ausgerüstet werden. Sie wissen nicht, dass sie damit in einer Gesamtbetrachtung das Risiko für ihre Kinder erhöhen). Für den Strassenverkehr können ohne weiteres ähnliche Überlegungen angestellt werden; es gibt immer eine Grenze, bei deren Überschreiten zusätzliche Sicherheitsmassnahmen gefährlich werden.

Das Buch "The Norm Chronicles" von Michael Blastland und David Spiegelhalter gibt einen Überblick über das tatsächlich messbare Ausmass alltäglicher und weniger alltäglicher Risiken.